Denis Kudla: Trotz der Verhältnisse, die wir momentan haben, läuft die Vorbereitung recht gut. Wir waren vor Pfingsten in einem Trainingslager auf Fuerteventura, haben dort allerdings nicht ringerspezifisch trainiert, sondern an den Grundlagen gearbeitet. Sind viel Fahrrad gefahren, sind geschwommen und haben Krafttraining gemacht. Nach der Rückkehr stehen noch einige Maßnahmen in Deutschland an, am Olympiastützpunkt in Heidelberg etwa, sowie Lehrgänge in Polen und kurz vor Olympia in Litauen. Wir befinden uns jetzt in der Grundlagenphase, in der wir lange und monotone Einheiten haben, in denen die Grundbausteine fürs Ringen gelegt werden. Je näher es Richtung Wettkampf geht, umso kürzer und härter werden die Einheiten, damit man spritziger wird.AZ: Wie sehr hat die Verschiebung der Olympischen Spiele um ein Jahr deine Vorbereitung darauf beeinflusst? Kudla: Die Absage vor einem Jahr hat jeden Sportler berührt. Mich persönlich hat die Verschiebung um ein Jahr nicht so extrem getroffen, weil ich für meine Sportart noch relativ jung bin. Es gibt jedoch Sportler, die ihr Karriereende für 2020 geplant hatten, für sie dürfte es schwieriger gewesen sein, noch ein Jahr länger durchzuhalten. AZ: Wie verfolgst du die Nachrichten aus Japan, dass dort die Forderungen nach einer Absage der Olympischen Spiele immer lauter werden? Es gibt auch eine Online-Petiton contra Olympia, bei der nach einer Woche schon über 350 000 Unterschriften eingegangen sind, und auch in der japanischen Bevölkerung ist die Ablehnung sehr groß. Kudla: Direkt verfolge ich diese Nachrichten nicht, aber ab und zu schaut man schon, was dort los ist. Ich glaube, dass die Bevölkerung in Japan eben Angst hat, weil Sportler, Trainer und Betreuer aus aller Welt in ihr Land kommen werden. Ich kann daher die Menschen dort schon verstehen, dass sie die Olympische Spiele riskant sehen. Andererseits wird es bei den Spielen ein sehr gutes Hygienekonzept geben. AZ: Was würde denn eine Absage der Spiele für dich und andere Sportler, die sich jahrelang auf dieses Ereignis vorbereitet haben, bedeuten? Kudla: Eine Absage der Olympischen Spiele wäre für viele Sportler ein Hiobsbotschaft. Viele junge und auch ältere Sportler, die seit Kindheit darauf trainieren, wird ein Traum genommen. Manche werden sich vielleicht für die nächsten Olympischen Spiele 2024 nicht mehr qualifizieren können oder sind schon zu alt. Manche haben mit diesen Spielen ihr Karriereende geplant und müssten ihre sportliche Karriere nicht auf der ganz großen Bühne beenden, sondern vielleicht ohne Publikum ganz im Stillen. AZ: Während der Spiele sollen die Athleten täglich getestet werden. Was hältst du von dieser Maßnahme, nachdem es ursprünglich hieß, dass die Test nur alle vier Tage durchgeführt werden? Kudla: Einerseites finde ich es gut, dass jeden Tag getestet wird, andererseits sind die Tests nicht zu einhundert Prozent sicher, es gibt immer wieder falsche Testergebnisse. Denn wenn man zum Beispiel vor einem Test etwas Süßes trinkt, kann das positiv anschlagen, obwohl man nicht infiziert ist. Es wäre natürlich blöd, wenn man jeden Tag getestet wird und dann das Pech eines fehlerhaften Tests hat. Dann wäre Olympia für einen gelaufen.AZ: War das Hygienekonzept bei der EM im April in Polen (Essen auf dem Hotelzimmer) schon ein erster Vorgeschmack auf das, was dich in Tokio erwartet? Bei den Olympischen Spielen werden die Athleten in einer Blase leben. Es wird ein anderes Flair werden, als du es 2016 in Rio erlebt hast. Kudla: Es werden auf jeden Fall andere Spiele sein. Das komplette Flair wird fehlen, dass man zum Beispiel im Olympischen Dorf die anderen Sportler sieht. Es wird wohl auch keinen Austausch mit Athleten aus anderen Sportarten geben. Das Hygienekonzept wird streng sein, mit zum Beispiel verschiedenen Essenszeiten in der Kantine, damit nicht alle auf einmal zum Essen gehen. Vielleicht werden wir die Mahlzeiten wie in Warschau auch aufs Zimmer bekommen. Ich glaube auch nicht, dass es im Deutschen Haus, wie es sonst immer üblich war, Feiern geben wird, wenn ein deutscher Sportler eine Medaille gewonnen hat.AZ: Die deutschen Athleten können sich seit Anfang Mai impfen lassen. Wie stehst du generell dazu und wurdest du auch schon geimpft und wenn ja, wie hat der Piks deine Vorbereitung beeinflusst? Kudla: Wir Ringer dürften schon so ziemlich alle durchgeimpft sein. Ich hatte auch kein Problem, ich sollte nur danach vier Tage lang nicht trainieren, was man ja auch nach jeder Impfung nicht machen sollte. Für mich war es klar, dass ich mich impfen lasse, schon allein aus dem einen Grund, dass ich nicht zu den Olympischen Spielen hätte fahren können, wenn ich jetzt noch Corona bekommen hätte. Dann wären die letzten fünf Jahre Vorbereitung umsonst gewesen. Das wollte ich nicht riskieren. AZ: Wie groß ist bei dir trotz der gesamten Begleitumstände die Vorfreude auf die Olympischen Spiele? Kudla: Die Freude ist auf jeden Fall da. Allein schon, wenn man als Sportler daran teilnimmt, schreibt man Geschichte. Die Spiele sind gerade für uns Ringer ein Event, weil dann auch die Randsportarten ins Rampenlicht treten. Die Ringer haben ja ansonsten nicht die Präsenz in den Medien wie andere Sportarten. AZ: Zum Sportlichen: Wie schwer fiel es dir im vergangenen Jahr, ohne Aussicht auf irgendwelche Wettkämpfe, dein Vorbereitungsprogramm für Olympia durchzuziehen? Kudla: Es war einerseits eine unangenehme, andererseits aber auch eine gute Zeit. Ich war noch nie länger als zwei Wochen weg von der Ringermatte. Beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 waren es zwei oder sogar drei Monate, was dem Körper aber auch gutgetan hat. Doch dann hat es sich schon sehr gezogen. Das Training war monoton und man hatte zu diesem Zeitpunkt kein Ziel, worauf man sich vorbereitet, nachdem dann auch noch die Bundesliga erst verschoben und dann abgesagt worden war. Das war schon zäh. Nun haben wir eben ein Ziel vor Augen, auf das wir uns vorbereiten. Jetzt macht auch das Training wieder mehr Spaß als im vergangenen Jahr.AZ: Die Europameisterschaft im April in Warschau war nach über eineinhalb Jahren wieder dein erstes Turnier. Wie war es für dich, nach dieser langen Zeit wieder in einem Wettbewerb auf der Matte zu stehen? Kudla: Es war auf jeden Fall schön, wieder ein Turnier zu ringen. Aber nach eineinhalbjähriger Wettkampfpause gleich wieder bei einer Europameisterschaft zu starten, war schon knackig, und es ging direkt in die Vollen. Ich habe aber gesehen, dass trotz der langen Pause nichts verloren gegangen und noch viel Potenzial vorhanden ist. Bei der EM war ich noch nicht in Topform, was jedoch nicht schlimm war. Denn es wäre sonst schwer geworden, die konstante Leistung bis Tokio zu halten. So kann ich mich jetzt weiter Schritt für Schritt Richtung Olympische Spiele vorbereiten. AZ: Bei der EM hast du den Kampf um Bronze lediglich aufgrund der letzten Wertung gegen den Weltmeister und Silbermedaillengewinner von Rio, Zhan Beleniuk, verloren. War die Enttäuschung darüber dann doch groß oder hielt sich diese in Grenzen, nachdem Edelmetall ja nicht als Ziel ausgegeben war? Kudla: Die Enttäuschung ist immer da, wenn man knapp an einer Medaille vorbeischrammt. Doch dafür, dass es mein erstes Turnier seit Langem war, war die Leistung schon sehr gut. Im Kampf um Bronze habe ich gegen den Zweiten von Rio nur aufgrund der letzten Wertung knapp verloren. Ich weiß, woran es noch fehlt, und was bis Tokio noch verbessert werden muss. Es sind zwar nur Kleinigkeiten, die aber sehr viel ausmachen. Daran werden wir in den nächsten Wochen arbeiten. AZ: Vor einem Jahr hast du im Interview mit unserer Zeitung gesagt, dass, wenn du bei den Olympischen Spielen ,alles abrufen kannst, etwas Krasses herauskommen kann'. Wie siehst du nach der EM, bei der auch die Kontrahenten für deine „Goldmedaillen-Mission” am Start waren, deine Chancen für Tokio? Kudla: So wie vor einem Jahr - daran hat sich nichts geändert. An Kudlas Zielsetzung für Olympia hat sich trotz der Verschiebung um ein Jahr nichts geändert