Stefan Bradl: Das habe ich mir auch gedacht. Es war ein schöner Saisonabschluss, über den ich happy bin. Es hat alles gut funktioniert und ich konnte auch die Leistung abrufen, die schon in den Wochen zuvor in mir geschlummert hat. Auf der anderen Seite waren es aber auch extrem anstrengende Wochen und Monate. AZ: Nach der Verletzung von Marc Marquez bist du im dritten WM-Lauf in Brünn in die MotoGP zurückgekehrt. Wie schwierig war es für dich, nachdem du Corona-bedingt monatelang nicht mehr mit einer MotoGP-Rennmaschine gefahren bist? Bradl: Das war die Herausforderung im ganzen Jahr, weil ich mehr oder weniger ins kalte Wasser gesprungen bin. Ich musste dann alles auf einmal machen, Rennfahrer plus Testfahrer. Diese Kombination war nicht einfach und ist mir schon schwer gefallen, nachdem ich acht Monate nicht mehr auf einem Motorrad gesessen bin. Und dann fährt man gleich einen Grand Prix. Die ersten Rennen haben mich ganz schön geschlaucht und gefordert. Aber wir hatten keine andere Möglichkeit und mussten das Beste daraus machen. AZ: In den ersten Rennen sind die Ergebnisse noch ausgeblieben. Entsprach dies zu diesem Zeitpunkt aus besagten Gründen deiner Erwartungshaltung oder hattest du dir mehr ausgerechnet, weil man von einem Fahrer im Repsol-Werksteam allgemein mehr erhofft? Bradl: Die ersten paar Rennen waren schwierig, ehe es dann nach und nach besser geworden ist. Wir haben schon gewusst, dass es nicht einfach wird, Marc zu ersetzen. Für mich kam noch hinzu, dass ich beim ersten Lockdown keine Möglichkeit hatte, mich vorzubereiten. Deshalb brauchte ich am Anfang die Rennen, um mich zurechtzufinden. Die nächste Schwierigkeit war, dass niemand gewusst hat, wann Marc zurückkommt. Zunächst hieß es, er fällt drei Rennen aus, dann waren es fünf und plötzlich war es dann die gesamte Saison. Es war schon ein schwieriges Unterfangen. AZ: Nach dem Grand Prix in Frankreich, bei dem du im Regen auf Rang acht gefahren bist, hast du dann mit Ausnahme von Aragon in jedem Rennen gepunktet. Krönender Abschluss war dann Platz sieben am vergangenen Sonntag in Portugal. Wie groß war hinterher für dich die Genugtuung? Bradl: In Le Mans ist der Knopf aufgegangen, und ich habe dann in den weiteren Rennen schon gesehen, dass ich wieder den Speed habe und mit den Burschen mithalten kann. Grundsätzlich habe ich schon gemerkt, dass ich wieder einen Sprung gemacht habe. Und das mit einem Ergebnis umzusetzen, war für mich eine große Genugtuung. Es hat mich sehr stolz gemacht, dass ich im letzten Rennen beweisen konnte, dass in mir noch das Feuer brennt und ich einen guten Speed habe. AZ: 27 WM-Punkte hast du am Ende eingefahren. Wie lautet dein persönliches Fazit? Bradl: Es war für mich klar, dass ich keinen Blick auf die Punkte und die Platzierung im WM-Klassement werfe. Für mich zählten nur die einzelnen Rennen, dass die Trainingsleistungen konstant besser und auch der Rückstand zur Spitze kleiner wurden. Insgesamt war es eine verrückte Saison, und das nicht nur wegen Corona, sondern weil so viele verschiedene Hersteller und Fahrer die Rennen gewonnen haben. Es war alles sehr unkonstant. AZ: Corona, keine Zuschauer bei den Grand-Prix-Rennen und dann noch mit Joan Mir ein absoluter Überraschungsweltmeister. Wie ist in der MotoGP der Ausblick für 2021, wenn Marc Marquez, der in den vergangenen Jahren diese Klasse dominierte, zurückkehrt? Wird es ähnlich spannend werden oder wieder eine One-Man-Show? Bradl: Ich glaube, dass uns auch in der nächsten Saison die Spannung erhalten bleibt. Das hat natürlich auch technische Gründe, weil der neue Hinterreifen für alle Werke eine große Herausforderung dargestellt hat, da hat kein Team den richtigen Trick gefunden. Auch Marc muss er erst schauen, wie fit und konkurrenzfähig er bis dahin ist, wie schnell er den Anschluss an die Spitze und den Speed wieder findet. Das wird auch für ihn eine Riesenherausforderung. Für ihn wird es primär wichtig sein, dass er körperlich wieder fit wird. AZ: Für Honda, das in den vergangenen Jahren stets führend war, wird 2021 ebenfalls eine Herausforderung, nachdem heuer Suzuki den Weltmeister stellt. Bradl: Mit Marc ist der Nummer-eins-Fahrer ausgefallen. Ob er heuer Weltmeister geworden wäre, werden wir nicht mehr herausfinden. Er wird aber im nächsten Jahr sicherlich die Marschrichtung vorgeben und zeigen, was Honda drauf hat. Natürlich hat Honda den Anspruch, 2021 wieder vorne dabei zu sein. Man hat auch einiges aus dieser Saison lernen können und wird über den Winter versuchen, die Entwicklung voranzutreiben. Mein Job ist ja noch nicht vorbei, wir haben Mitte Dezember noch Testfahrten in Spanien (in Jerez/Anm. d. Red. ). AZ: Du bist in dieser Saison elf von 14 Rennen gefahren. Hat das wieder die Lust geweckt, Stammfahrer zu werden? Bradl: Ja, sicher bekommt man da gleich wieder Lust darauf, nachdem die letzten Rennen gut gelaufen sind. Realistisch gesehen hat dies für mich aber nie im Raum gestanden, dass ich einen Vertrag als Stammfahrer bekomme. Wenn ich das gewollt hätte, dann eben nur bei Honda - und da sind alle Plätze belegt. Ich habe die Rolle als Ersatzfahrer gerne ausgeübt. Dass es am Ende dann doch so viele Rennen geworden sind, hatte vorher niemand gewusst. Das passt schon so, wie es ist. AZ: Wäre für dich eine andere Serie, zum Beispiel die Superbike-WM, in der du schon 2017 gefahren bist, auch eine Option gewesen? Bradl: Nein, das reizt mich nicht. Ich bin froh, wie die Situation jetzt ist. AZ: Wie wird für dich die Saison 2021 ausschauen? Bradl: Mein Vertrag als Testfahrer wurde verlängert. Ich bin seit drei Jahren in dieser Funktion für Honda tätig, kenne das Motorrad in- und auswendig. Die Kombination aus Testfahrer und auch weiterhin als Experte bei ServusTV zu arbeiten, würde ich gerne wieder machen. Auch sie sind an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert, sie haben mich auch vermisst, hatten aber auch Verständnis, dass ich die gesamten Rennen gefahren bin. Es war ja auch für ServusTV ein Zugewinn, dass ein Deutscher in der MotoGP dabei war. AZ: Startest du nun auch eine zweite Karriere im Tennis, nachdem du heuer beim BC Adelzhausen den Wanderpokal „LK König(in)” gewonnen hast? Bradl (lacht): Im Tennis fehlt es mir noch zum Profi. Ich habe aber immerhin während der Corona-Phase, als im Rennsport nichts los war, mein Tennis ein wenig verbessern können. Ich habe mich mit Tennis gut fit halten können und es hat mir extrem viel Spaß gemacht, weil wir beim BC Adelzhausen eine super Truppe sind. Das Gespräch führte Herbert Walther