Exakt 350 Tage später hat die BOL-Begegnung mit Bobingen somit eine tiefere Bedeutung. Sie ist der bislang letzte Liga-Auftritt der TSV-Handballer. Denn seit Mittwoch ist klar: Diesen traurigen Status wird sie bis mindestens Herbst nicht los. Der Bayerische Handball-Verband, BHV, hat bekanntgegeben, nun auch die Spielzeit 2020/21 komplett abzubrechen. „Durch die politischen Vorgaben, die Ungewissheit einer möglichen Wiederaufnahme des Handballsports und die zeitlich begrenzte Möglichkeit, eine Saison noch sportlich fair abzuschließen, ist uns keine andere Vorgehensweise möglich”, begründet der BHV seinen Entschluss. Die Ergebnisse der Pandemie-bedingt ohnehin wenigen Spiele, die im vergangenen Herbst ausgetragen werden konnten, werden annulliert. Konstantin Schön und seine Kollegen betrifft zumindest Letzteres nicht. Für sie geht eine Saison zu Ende, die für sie nie begonnen hat. Die Partien gegen Schwabmünchen und Meitingen fielen aus, kurz darauf - noch vor dem Teil-Lockdown - stoppte der BHV den Spielbetrieb. Die Entscheidung, ihn im Frühjahr gar nicht erst wieder aufzunehmen, bezeichnet Schön als „folgerichtig”. Selbst für eine Einfachrunde wäre es zeitlich eng geworden. „Diese Variante hätte ich außerdem sportlich fraglich gefunden. Die Ergebnisse hätten ein verzerrtes Bild ergeben. Mannschaften, die häufig bei heimstarken Gegnern ran hätten müssen, wären im Nachteil gewesen”, sagt der 26-Jährige. Schön verweist auch auf die vier Wochen Vorbereitung, die der Verband den Mannschaften vor einem neuerlichen Start eingeräumt hat. „Nach dieser langen Pause brauchen wir zwei oder drei Monate”, betont er. „Wir sind so lange raus, da hätten vier Wochen nicht gereicht, um das Ballgefühl zurückzugewinnen und sich einzuspielen. Dabei wäre kein schöner Handball herausgekommen.” Denn auch die letzte Trainingseinheit der TSV-Handballer liegt mittlerweile fast fünf Monate zurück. Das birgt ein weiteres Problem: „Mit nur vier Wochen Anlaufzeit”, ist Schön sicher, „hätte es zahlreiche verletzte Spieler gegeben.” Schnelle Bewegungen auf dem harten Hallenboden, krachender Körperkontakt mit Gegenspielern - das verlangt Gelenken, Bändern, Muskeln und Sehnen alles ab. „Wir sind keine Profisportler, die täglich trainieren. Deshalb haben wir ja vor jeder Saison eine mehrere Wochen dauernde Vorbereitung”, führt Schön seine Argumentation fort.Verletzungsprophylaxe ist ein Begriff, den er dabei öfter verwendet. Der 26-Jährige weiß, wovon er spricht. Erst Ende Oktober 2019 kehrte er nach fast einem Jahr Zwangspause zurück aufs Linoleum - er hatte sich im November 2018 das Kreuzband gerissen. Deshalb geht er derzeit nicht nur laufen, sondern schiebt regelmäßig Einheiten mit Kraft- und Stabilitätsübungen. „Ich weiß, dass ich nicht nachlassen darf. Sonst kann ich den Saisonstart gleich wieder vergessen”, sagt Schön. Mit dem neuen Trainer der Mannschaft hat er einen Gleichgesinnten. Auch Stefan Knittl habe „Verletzungsvorbeugung auf dem Schirm”, berichtet Schön. Nun ja, so neu ist Knittl streng genommen gar nicht mehr. Schließlich hat der Friedberger den TSV im Oktober übernommen. Doch unter Knittl hat Aichach bislang noch nicht einmal ein Testspiel absolviert. „Er ist einer der wenigen Aichacher Trainer, der bis Weihnachten verlustpunktfrei geblieben ist”, scherzt Schön. Bereits die wenigen Trainingseinheiten unter Knittl haben bei ihm Eindruck hinterlassen. „Vor allem aus Günzburg (Knittl spielte mit dem VfL in der Bayernliga, Anm. d. Red. ) hat er einige spannende Einflüsse mitgenommen, die er nun bei uns einbringen möchte”, schildert Schön. In Sachen Lockdown-Fitness setzt Knittl bei seinen Akteuren indes auf Eigenverantwortung, von Videotrainings hält er wenig. Zu denen treffen sich einmal wöchentlich die Handballerinnen des TSV. Für sie hat der Saisonabbruch Folgen: Die zwei Siege, die die Aufsteigerinnen in den ersten beiden Landesligapartien eingefahren haben, sind nur mehr schöne Erinnerungen. Die Punkte werden gestrichen. „Es ist halt einfach so”, kommentiert Stephanie Szierbeck, die gemeinsam mit Tini Wonnenberg die Sparte Handball des TSV leitet. Das mag abgestumpft klingen - doch Verantwortliche und Mannschaft hatten sich seit geraumer Zeit darauf eingestellt, dass die Spielzeit nicht mehr angeworfen wird. „Im Herbst geht es dieses Mal vielleicht sogar ein bissl mehr bei Null los, als in gewöhnlichen Jahren”, prognostiziert Szierbeck. „Es weiß keiner, wie die Vereine personell aus der Corona-Zeit rauskommen.” Selbiges gilt für die Jugendabteilung des TSV. „Wir sind gerade am Abklappern, wie es bei den Spielern in Zukunft aussieht”, sagt sie. Die Qualifikationsturniere zu den Junioren-Ligen sollen - wenn möglich - ausgetragen werden, heißt es vom Verband. Szierbeck fordert, auch dem Nachwuchs ausreichend Trainingszeit zu geben. Doch daraus ergibt sich ein zeitliches Problem - wieder einmal. „Wenn wir im Juni oder Juli mit den Turnieren anfangen können, spielen wir wahrscheinlich bis in den August. Dann wird es eng, den Ligenbetrieb zu organisieren, der im September starten soll”, warnt sie. Eine mögliche Lösung wäre, dass die Vereine ihre Jugendteams je nach Stärke für die Spielklassen melden. Vielleicht erübrigt sich ohnehin alles von selbst. „Wir haben ja noch keinerlei Anhaltspunkte, wann es überhaupt weitergeht. Und solange in den Schulen kein Präsenzunterricht stattfindet, sind wir noch ganz weit weg von Normalität im Amateursport”, sagt Szierbeck. Und auch Schön äußert sich nach den Erfahrungen der zurückliegenden 350 Tage zurückhaltend: „Dass im Herbst eine Saison starten kann, ist nicht in Stein gemeißelt.” Den Befürchtungen gegenüber steht die Hoffnung. Darauf, „sich bald wieder gemeinsam mit den Mannschaftskollegen in der Halle bewegen zu können, vor dem Training und dem Spiel in der Kabine zu flachsen, danach was zu unternehmen”, beschreibt Schön. Die Vorfreude ist enorm. „Wir haben viele Spieler im besten Handballer-Alter. Schade, dass wir jetzt ein ganzes Jahr verloren haben.” Ändern könne man daran jedoch nichts, nur nach vorne schauen. Eines steht fest: „Es kribbelt in den Händen.” „Dass im Herbst eine Saison beginnt, ist nicht in Stein gemeißelt”