Bei den Fußballern des VfL Wolfsburg hatte sich einst Coach Felix Magath eigens für derartige Treppenläufe eine Erhöhung am Trainingsplatz aufschütten lassen, die mit ihren Stufen und Sprintabschnitten als „Hügel der Leiden” oder „Mount Magath” in die Annalen einging. Fischer ist allerdings kein klassischer „Quälix”, wie dereinst Magath. Der 56-jährige Übungsleiter ist bei jeder Ausdauerübung mittendrin. Auch benötigt er keinerlei bauliche Maßnahmen. Er nutzt ganz einfach die Gegebenheiten des Landkreisstadions, in das er und seine Mannschaft derzeit für die Vorbereitung auf die kommende Spielzeit in der Landesliga ausweichen müssen. Offiziell startet die Saison am 3. Oktober mit einem Heimspiel gegen die HG Ingolstadt. „Aber im Prinzip ist das ein fiktiver Termin”, merkt Fischer an, während er grellorangene Trainingshütchen auf der rotbraunen Tartanbahn platziert. „Das erschwert die Vorbereitung ungemein.” Schließlich steuern Trainer die Art und Intensität der Übungseinheiten darauf hin, dass die Mannschaft auf den Punkt in Topform ist. Wegen der Corona-bedingten Ungewissheiten ist auch Fischer derzeit gezwungen zu pokern. Schließlich kann aus dem 3. schnell der 17. und aus dem 17. sogleich der 31. Oktober werden. Das sogenannte Infektionsgeschehen diktiert auch im Handball das Geschehen. Und zwingt die TSV-Handballerinnen an den für sie ungewöhnlichen Trainingsort, den sie sich gewiss nicht deshalb ausgesucht haben, weil Ausdauertraining in der Hitze der tiefstehenden Abendsonne besonders viel Freude macht. Die Vierfachturnhalle des Gymnasiums ist gesperrt - erst war es wegen der Abschlussprüfungen, die auf dem Linoleumbelag geschrieben wurden, ab dem 24. Juli wird der Hallenboden erneuert, weshalb auch für die Partie gegen Ingolstadt zunächst mit der Turnhalle der Grundschule Aichach Nord als Austragungsort geplant wird. An Trainings in der städtischen Sportstätte ist indes noch nicht zu denken. Sie ist bis mindestens Ende des Monats aus Pandemie-Gründen dicht. Deshalb ist die Einheit bereits die fünfte der Handballerinnen unter freiem Himmel. „Zum ersten Training musste jede Spielerin noch ihren eigenen Ball mitbringen, gegenseitiges Zuspielen war untersagt”, erinnert sich Fischer. Seit Mittwoch vergangener Woche hat die Staatsregierung mittlerweile sogar Körperkontakt im Mannschaftstraining erlaubt. Der ist am Donnerstagabend, an dem die Einheit stattfindet, allerdings nur bedingt Bestandteil - und das dann nicht einmal beim Handball, sondern bei einer kurzen Partie Fußball auf dem Rasen des Stadions. Davor laufen die Spielerinnen - erst in Runden auf der Bahn, dann in Steigerungen und Sprints zwischen den Pylonen, später auf der Tribüne. Dazwischen versammeln sie sich zu Kraft- und Dehnübungen mit Gummibändern. „Martin war schon immer der Lauf- und Athletik-Typ. Darauf hat er auch als Spieler Wert gelegt”, stellt Spielerin Tini Wonnenberg fest. Man möchte fast behaupten, dass er die momentanen Bedingungen gar nicht einmal so schlecht findet. Handbälle sind jedenfalls zunächst zu Statisten degradiert, blicken verstohlen aus der einen oder anderen Sporttasche. Das obligatorische Raunen seiner Mannschaft, wann immer Fischer verschmitzt lächelnd eine neue Laufübung ankündigt, täuscht keinesfalls über die gute Laune der Spielerinnen hinweg. „Wir sind froh, dass wir uns wieder sehen, wieder regelmäßig miteinander trainieren”, sagt Wonnenberg während einer Trinkpause auf der Tribüne. „Über Video ist es halt doch nicht dasselbe.” Vor allem, dass das Team die Meisterschaft in der Bezirksoberliga nicht an den verbleibenden beiden Spieltagen in der Halle klarmachen konnte, sondern den Titel durch die Quotientenregelung am grünen Tisch einfuhr, schmerzt. Aufstiegsfeier - unmöglich. „Wir holen das nach”, kündigt Wonnenberg an. An diesem Abend zeugen dunkelblaue T-Shirts mit weißer Aufschrift, die einige Spielerinnen tragen, von der Rückkehr in die Landesliga nach zweijähriger Abstinenz. „Wir gehören zu den 52 besten Mannschaften in Bayern”, merkt Fischer an. „Das ist für einen Verein wie Aichach etwas ganz besonderes.” Schließlich besteht seine Mannschaft ausschließlich aus Nachwuchsspielerinnen des TSV. An Neuzugänge ist nicht zu denken. „Dafür liegen wir zu weit in der Peripherie”, begründet der 56-Jährige. Andere Klubs aus der näheren Umgebung, wie etwa der TSV Haunstetten, können den Spielerinnen zudem ganz andere Bedingungen bieten. Der Aichacher Kader ist entsprechend nicht unerschöpflich. Dass Spielmacherin Anna Mahl wegen ihres anstehenden Studiums in Bayreuth künftig nur mehr eingeschränkt trainieren kann, trifft einen Klub wie den TSV daher schwer. Ebenso, dass der Verein zwei Jahre lang keine weibliche A-Jugend hatte. Dass es nicht leicht wird, in der 15 Mannschaften starken Landesliga Süd zu bestehen, ist für Fischer deshalb klar. „Allerdings hat unsere junge Mannschaft mittlerweile auch an Erfahrung dazugewonnen”, ergänzt er optimistisch. Mittlerweile steht Fischer mit verschränkten Armen am Rand des Hartplatzes, der verdeckt von Büschen schräg hinter der Tribüne liegt. „Mehr Spannung!”, fordert er rufend von den Handballerinnen, die sich gerade laufend in verschiedenen Kombinationen die Bälle zupassen. Unter ihnen ist auch Johanna Fackler. Sie ist seit dem Vorbereitungsstart wieder dabei, hat ihren Kreuzbandriss auskuriert. Die Verletzung wurde passiv behandelt, das heißt ohne Operation. Ab und an, sagt Fackler, spüre sie noch, dass es ein bissl zwickt. „Aber im Großen und Ganzen läuft es gut.” Anlauf, Absprung, Wurf: Auch dieser Bewegungsablauf klappt schon wieder ganz gut bei der Rückraumspielerin, als sie den Ball an Torhüterin Vildan Acar vorbei ins Netz schleudert. Die Sonne hat sich mittlerweile bis knapp über die Baumwipfel gesenkt, trifft blendend auf die Gesichter der Werferinnen. Aus der Musikbox dreier Basketballer, die nebenan ein paar Körbe werfen, wummern die Bässe von Hip-Hop-Musik, am Kreisverkehr hinter dem metallisch-glänzenden Zaun schieben sich Autos in Richtung B 300. „Wir hoffen, dass wir bald in die Halle können”, sagt Wonnenberg. Nicht nur der merkwürdigen Atmosphäre wegen. „Die räumliche Orientierung ist draußen eine andere. Auch die schnellen Richtungswechsel fühlen sich auf dem weicheren Hartplatzbelag anders an als in der Halle.” Das ist einer der Gründe dafür, warum auf Körperkontakt noch verzichtet wird. Auch deshalb hoffen die Handballerinnen auf einen baldigen Umzug nach drinnen. Lästige Treppenläufe und Stufensprünge werden sie damit allerdings nicht los. „Auch die Vierfachhalle hat eine Tribüne”, erinnert Fischer. Dann lächelt er vielsagend verschmitzt. Den „Mount Martin” muss man nicht erst aufschütten. Er lauert überall. Landesliga-Auftakt gegen Ingolstadt wohl nicht am Gymnasium Die Spielmacherin kann nur eingeschränkt trainieren