Etwas mehr als ein Jahr zuvor hatte es das nicht getan. Fast exakt an derselben Stelle in der Halle des TSV Schwabmünchen, bei genau derselben Bewegung. Damals überdrehte das Knie, das Kreuzband des torgefährlichsten Aichacher Handballers riss. Nicht mehr als fünf Sekunden habe der Schmerz angehalten, erinnert sich Schön an den Moment, den er jederzeit detailgetreu aus seiner Erinnerung abrufen kann. Denn die Verletzung sollte den 25-Jährigen monatelang beeinträchtigen. „Es war nicht nur sportlich sehr einschneidend”, sagt er, „sondern auch in der Uni und in der Arbeit.” Doch Schön meisterte die Situation und schrieb die wohl beeindruckendste Rückkehrer-Geschichte des vergangenen Winters. Sie beginnt Anfang Dezember 2018 mit der Operation. „Danach war ich erstmal an die Couch gefesselt”, erzählt Schön. Wenigstens stand gerade die Masterarbeit in seinem Architektur-Studium an - „von daher war das nicht ganz so schlimm”. Die Muskulatur in seinem linken Bein allerdings „wurde zu Pudding”, wie es der 25-Jährige beschreibt. Was aber weitaus mehr schmerzte: „Ich habe das Mannschaftsgefüge vermisst.” Schön, der mit fünf Jahren zum ersten Mal bei den Minis des TSV Aichach Handball spielte, spornte das an. Zwar saß er fortan bei jedem Spiel seines Teams als Zuschauer mit auf der Bank; doch er wollte weg vom Spielfeldrand, zurück aufs Parkett. Streng hielt er sich an die Vorgaben der Ärzte, sagt er. Bis zu viermal pro Woche ackerte er in der Physiotherapie - Muskeln aufbauen, Beugung steigern. Ab Mitte Januar trainierte er an den Geräten, ab März begann er mit leichtem Joggen. Schön hatte ein Ziel vor Augen: den Vorbereitungsstart im Juli. „Egal in welcher Form, Hauptsache, ich kann dabei sein”, so der Plan. Und der ging auf. Schön absolvierte Läufe, arbeitete an seiner Koordination und an der Stabilität des Knies, warf wieder aufs Tor. Das Wichtigste aber: Er war zurück im Kreis seiner Jungs. Den endgültigen Schritt zurück zum Handball musste er alleine gehen: Ende August, Belastungstest in der Augsburger Hessing-Klinik. Eineinhalb Stunden wird Schöns Knie beansprucht - Ausdauerlauf, Sprünge, Kraftübung. Das Ergebnis: „Ich war aus sportwissenschaftlicher Sicht überdurchschnittlich weit”, sagt Schön. Es half ihm ungemein. „Für den Kopf war wichtig zu wissen: Es kann nichts passieren”, erinnert sich der 25-Jährige, der von da an wieder alle Übungen im Training mitmachte. Eigentlich war angedacht, dass er in den Einheiten mit der Mannschaft anfangs ein Leibchen trägt, damit seine Gegenspieler ihn erkennen und vorsichtig in den Zweikampf gehen. „Das hat es aber gar nicht gebraucht”, sagt Schön. Im Gegenteil. „Ich habe zu den Jungs gesagt: Ihr müsst keine Rücksicht nehmen. Nur so kann ich mich darauf einstellen, was im Spiel auf mich zukommt.” Mit jeder Aktion, mit jedem Zerren, Klammern, Stoßen eines Verteidigers wuchs Schöns Vertrauen in den eigenen Körper. Am 26. Oktober war er bereit - Heimspiel gegen Niederraunau 2. Jedem seiner Mitspieler war die Freude über das Comeback anzusehen, das Publikum applaudierte ihm extralang. All das registrierte Schön. Doch in seinen Gedanken spielte sich ein Mantra ab: „Nur nicht ans Knie denken.” Als er am Ende der ersten Halbzeit erstmals wieder in der Bezirksoberliga das Spielfeld betrat, erlosch das Mantra. Knie? Welches Knie? Wenige Augenblicke später warf Schön das erste Tor nach seiner Rückkehr. Auf der Ersatzbank flippten die jubelnden Kollegen aus. Schön ließ an diesem Abend noch fünf verwandelte Siebenmeter und ein weiterer Treffer aus dem Spiel heraus folgen. Bis zur Corona-bedingten Saisonunterbrechung machte Schön weitere 96 Tore, hat nach Patrick Schupp vom TSV Göggingen (7,96) die zweitbeste Quote der BOL - 7,36-mal traf er pro Spiel. „Mich wunderte selbst, dass es gleich wieder so gut lief”, räumt Schön ein und erinnert sich an ein Gespräch mit Trainer Manfred Szierbeck unmittelbar vor dem Niederraunau-Spiel. „Er sagte: Du brauchst nicht meinen, dass du nahtlos an deine Leistungen anknüpfst”, erzählt der 25-Jährige und muss lachen. Im Nachhinein betrachtet, hat ihn die Arbeit für seine Rückkehr stärker gemacht. Klingt ein bisschen nach einem Spruch auf einer Gute-Besserung-Karte. Doch Schön sagt, er sei nie in seinem Leben derart viel gejoggt, habe nie so viel für seine Fitness gemacht wie in der Zeit nach seiner Verletzung. „Ich fühle mich fit wie nie”, stellt er fest. Zudem habe er seinen Spielstil geändert. „Ich gehe nicht mehr Kamikaze-mäßig durch die Abwehr, versuche, eher aus dem Rückraum zu kommen”, beschreibt Schön. Dass er seine Qualitäten derzeit eher im Abstiegskampf der Liga einbringt, macht ihm nichts. Er ist am richtigen Ort, betont Schön, nämlich „in einer saucoolen Truppe”. Anfragen von anderen Vereinen gebe es ohnehin keine - und selbst wenn, sehe er keinen Anlass, den TSV zu verlassen, bei dem er bis auf fünf Jahre seine gesamte Laufbahn verbracht hat. In der C-Jugend wechselte er zum TSV Friedberg, spielte dort später A-Jugend-Bundesliga, ehe er in den Herrenbereich nach Aichach zurückkehrte. Schön, der bei einem Architekturbüro in Pfaffenhofen arbeitet, hatte entschieden, dass ihm die berufliche Laufbahn wichtiger war, als eine etwaige Handballer-Karriere. Nichtsdestotrotz „wäre es schön, mit Aichach mal wieder oben mitzuspielen”, sagt er. So wie die Frauenmannschaft, die wegen des ungewissen Ausgangs der Corona-Unterbrechung um den so gut wie sicheren Meistertitel und Landesliga-Aufstieg bangt. „Es wäre sehr ärgerlich, wenn ihnen diese Leistung aberkannt würde”, findet Schön, der seit rund einem halben Jahr mit Lara Leis aus dem Frauenteam zusammen ist. Wann, ob und wie es weitergeht mit der Saison, weiß man auch bei den Herren, die momentan Fünfter sind, noch nicht. Wieder muss Schön eine Zwangspause hinnehmen, hält sich momentan mit Übungen zu Hause fit oder geht Laufen. Wieder kein Handball, wieder kein Mannschaftstraining. Aber er hat die Gewissheit, dass es irgendwann weitergeht. Als er in Schwabmünchen wieder zum Haken ansetzte, sei ihm das schon durch den Kopf gegangen, sagt Schön. Wie viel Druck da auf dem Knie lag. Und was passieren würde, sollte es erneut nachgeben. „Dann war's das wohl mit der Karriere.” Doch das Knie hielt. Ein Schlüsselmoment für Schön: „Das war das letzte positive Erlebnis, das ich gebraucht habe, um wieder volles Vertrauen in meinen Körper zu haben.” Wie schon gesagt: Dieses eine Fleckchen senfgelben Hallenbodens wird Konstantin Schön vermutlich nie vergessen. Schön ändert seinen Stil: Weniger Kamikaze, mehr Rückraum