Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 26.01.2021 18:19

Gallenbacher Mario Schmidt: In der Landesliga mit Thomas Tuchel

Titel mit Tuchel:   Mario Schmidt (links unten) wurde unter dem späteren Top-Trainer Thomas Tuchel (rechts oben) Schwäbischer Hallenmeister 2008. 	Foto: Siegfried Kerpf (Foto: Siegfried Kerpf)
Titel mit Tuchel: Mario Schmidt (links unten) wurde unter dem späteren Top-Trainer Thomas Tuchel (rechts oben) Schwäbischer Hallenmeister 2008. Foto: Siegfried Kerpf (Foto: Siegfried Kerpf)
Titel mit Tuchel: Mario Schmidt (links unten) wurde unter dem späteren Top-Trainer Thomas Tuchel (rechts oben) Schwäbischer Hallenmeister 2008. Foto: Siegfried Kerpf (Foto: Siegfried Kerpf)
Titel mit Tuchel: Mario Schmidt (links unten) wurde unter dem späteren Top-Trainer Thomas Tuchel (rechts oben) Schwäbischer Hallenmeister 2008. Foto: Siegfried Kerpf (Foto: Siegfried Kerpf)
Titel mit Tuchel: Mario Schmidt (links unten) wurde unter dem späteren Top-Trainer Thomas Tuchel (rechts oben) Schwäbischer Hallenmeister 2008. Foto: Siegfried Kerpf (Foto: Siegfried Kerpf)

Schmidt trainierte regelmäßig mit den Profis des Zweitligaaufsteigers. Trainer Rainer Hörgl berief ihn an Spieltagen immer wieder in den Kader. Spielpraxis sammelte der damals 20-Jährige in der zweiten Mannschaft in der Landesliga, bei der in jenem Winter der Trainer ausgetauscht wurde. An die genauen Umstände kann sich der Gallenbacher heute nicht mehr erinnern, wohl aber an den Übungsleiter, der damals Roland Bahl ablöste.

Tuchels Training fordert die Spieler vor allem im Kopf

Der kam aus dem Nachwuchsbereich des VfB Stuttgart, war gerade einmal 33 und der erste optische Eindruck sagte eher Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte als Fußballtrainer. „Doch es war schnell klar, dass er ambitioniert ist, höher zu trainieren”, weiß Schmidt noch heute und ergänzt: „Dass es für ihn aber so schnell nach oben gehen würde, konnte man damals nicht vorausahnen.” Denn nur dreieinhalb Jahre später übernimmt dieser Trainer seinen ersten Bundesliga-Job beim 1. FSV Mainz 05. Es folgten die Stationen Borussia Dortmund und Paris St. Germain. Nun beerbt er Frank Lampard beim Chelsea FC. Sein Name: Thomas Tuchel.

Schmidt, damals Kapitän des Landesligisten, denkt zurück an die Zeit, als Tuchel übernahm. „Es war erstaunlich, wie er sofort voll drin war. Er war Feuer und Flamme für die Aufgabe, hat uns Spieler mitgerissen”, erzählt der heute 34-Jährige. Der neue Trainer forderte gleichzeitig viel von der Mannschaft. „Im Profibereich hatte man eine gewisse Routine, wusste ungefähr, an welchem Tag was auf dem Trainingsplan steht”, leitet Schmidt ein. „Bei Thomas konnte man sich nie auf etwas einstellen. Er hat jedes Training anders gestaltet, Übungen eingebaut, die für viele von uns ganz neu waren”, schildert Schmidt. Tuchels Ding waren schon damals anspruchsvolle Pass- und Spielformen. „Das war vor allem sehr, sehr viel für den Kopf. Die Belastung war extrem”, sagt der Gallenbacher.

„Kokolores konnte Thomas Tuchel auf die Palme bringen”

Vor allem, weil Tuchel mitunter aufbrausend sein konnte. „Es war Zuckerbrot und Peitsche”, beschreibt sein damaliger Spieler: „Er hat immer Ernsthaftigkeit eingefordert. Kokolores, wie zehn Minuten zu spät kommen oder Schlampigkeit im Training, konnten ihn auf die Palme bringen.” Auch an der Seitenlinie gab sich Tuchel schon damals lautstark, forderte bestimmte Pässe, nahm Spieler auch mal früh runter, wenn die Leistung nicht passte. „Aber er hat nie jemanden fallen lassen”, entgegnet Schmidt, „und seine Kritik war immer gerechtfertigt und konstruktiv.” Der Erfolg gab ihm Recht. Unter Tuchel verlor die Mannschaft nur eines der 13 restlichen Saisonspiele, spielte dreimal remis. Das bedeutete 2,31 Punkte im Schnitt und Platz vier in der Endabrechnung. Doch gerade die Partien, die der FCA nicht für sich entschied, haben sich in Schmidts Gedächtnis eingeprägt. „Da hat man erst richtig gemerkt, wie sehr Thomas auf Sieg getrimmt war. Das hat ihn regelrecht mitgenommen, er war kaum ansprechbar und in sich vertieft”, schildert Schmidt und fügt lachend an: „Hilfreich war, dass am Montag trainingsfrei war, am Dienstag hatte sich die Lage dann schon etwas entspannt.”

Es ist ein Gefühl, das Schmidt erst verstehen lernte, nachdem er 2014 selbst gemeinsam mit Florian Fischer Spielertrainer beim VfL Ecknach wurde. Derzeit arbeiten die beiden für den TSV Gersthofen. „In der Nacht nach einer Niederlage schlafe ich teilweise nicht. Da grübelt man, was man anders hätte lösen können”, sagt Schmidt, der bereut, damals nicht noch mehr Trainingsinhalte von Tuchel aufgeschrieben zu haben. „Aber es ist auch so viel hängen geblieben, viele Übungen von damals habe ich in meinem Repertoire.”

„Wir trugen die ausrangierten Trainingsklamotten der Profis”

Im September 2007 übernahm Ralf Loose die Profis des FC Augsburg. Sämtliche Kicker, die zuvor zwischen Lizenzspielerbereich und Amateuren des FCA gependelt sind, gehörten nun fest Tuchels Landesligakader an. Ein Dämpfer auch für Schmidts Ambitionen. „Thomas hat uns damals alle aufgefangen”, blickt er zurück. „Das war sicher auch für ihn nicht leicht, in der Landesliga mit 18-, 19-, 20-Jährigen zu arbeiten, die eigentlich Profis werden wollten. Er hat das wirklich super gelöst.”

Zumal zwischen den Bedingungen des FC Augsburg 2007 und denen des heute etablierten Bundesligisten Welten lagen. „Ein ausgebautes Nachwuchsleistungszentrum gab es nicht, wir trugen die ausrangierten Trainingsklamotten der Profis, hatten keine medizinische Abteilung. Als ich eine Bänderverletzung im Sprunggelenk hatte, habe ich den Fuß daheim in einem Eimer voll Mais mobilisiert”, erinnert sich der 34-Jährige. Tuchel, der damals gleichzeitig Nachwuchsleiter des Klubs war, „musste also auf kleinen Steinen aufbauen. Aber er hat vieles angestoßen, was heute im Nachwuchsleistungszentrum gang und gäbe ist”, bilanziert Schmidt.

Julian Nagelsmann machte Videoanalysen für Thomas Tuchel

Der Trainer setzte aber auch im taktischen Bereich Maßstäbe. „Wir haben plötzlich zwei Systeme gespielt - auf einmal agierten wir im Spielaufbau mit einer Dreierkette, gegen den Ball in einer Viererkette”, sagt Schmidt, der im zentralen Mittelfeld auflief. „Thomas wusste, wie man den Gegner ausschaltet, die Passformen, die wir unter der Woche trainierten, waren genau auf den kommenden Gegner zugeschnitten”, schwärmt er. Tuchel half dabei ein Verteidiger, der sich in der Hinrunde derart schwer verletzt hatte, dass er seine Laufbahn beenden musste: Die Geschichte, wie Julian Nagelsmann gemeinsam mit seiner Frau und einer Videokamera Landesligaspiele sichtete und Augsburgs Gegner analysierte, wurde bundesweit erzählt, als die beiden - Nagelsmann mit Rasenballsport Leipzig, Tuchel mit Paris - 2020 im Halbfinale der Champions League aufeinandertrafen.

„Das ist schon irre”, fasst Schmidt den Umstand zusammen, damals mit gleich zwei der heute besten Trainer der Welt in der Landesligamannschaft des FC Augsburg zusammengearbeitet zu haben. Während die beiden nach der Spielzeit 2007/08, die der FCA abermals auf Landesliga-Rang vier beendete, in den Nachwuchsakademien zweier Bundesligisten - Tuchel in Mainz, Nagelsmann in Hoffenheim - sich in Richtung Profifußball aufmachten, unterschrieb Schmidt beim damaligen Bayernligisten TSV Aindling. Einen Tag später sollte der damalige FCA-Manager Andreas Rettig ihm einen Profivertrag anbieten. Doch Aindling versperrte den Weg zurück, pochte auf die Vereinbarung. „Eine harte Zeit, in der ich auf dem Fußballplatz wenig gelacht habe”, erinnert sich Schmidt.

„Tuchel hat alles, was er heute macht, bereits damals beim FC Augsburg 2 in klein gedacht”

Doch er arrangierte sich mit der Situation, legte eine starke Saison hin und lief später in Ulm und Memmingen in der Regionalliga auf. „Ehrlich gesagt: Weiter hoch wäre es für mich nur gegangen, wenn ich weggezogen wäre”, räumt Schmidt ein. Er blieb bei seiner Familie, machte seinen Meister als KfZ-Mechaniker und stieg in den elterlichen Reifenhandel ein. Zweites Standbein, Fangnetz. Auch ohne Profivertrag ist er zufrieden mit seinem sportlichen Weg. „Ich möchte keine Sekunde davon missen”, betont Schmidt, der kürzlich die Elite-Jugend-Lizenz des DFB erworben hat und sich im Sommer mit dem Landesligaaufstieg aus Gersthofen verabschieden will. Wie es danach weitergeht, ist offen.

Tuchel, dem er selbstverständlich bei Chelsea erfolgreiche Arbeit zutraut, verfolgt er noch immer begeistert vor dem Fernseher. „Ich beobachte die Spieleröffnung. Schaue, in welche Zonen seine Mannschaften kommen möchten, wie sie den Gegner locken und wie Thomas das Angriffspressing orchestriert. Und mir ist schon oft aufgefallen: Es ist phänomenal, wie Thomas das alles bei uns damals schon in klein gedacht hat.”


Von David Libossek
north