Der Andrang ist enorm vor Sitzungssaal 201 im Justizgebäude am Alten Einlass. Doch die Auflagen, unter denen Presse und Zuschauer in den Saal dürfen, sind strikt. Der Grund: Einige der Angeklagten sind bereits über 80 Jahre alt. Damit gehören sie zur Hochrisikogruppe und sollten eine Ansteckung mit dem Coronavirus unbedingt vermeiden. Für die Verhandlung hat das Gericht extra den großen Saal reserviert. Dennoch gibt es nur fünf Stühle für die Zuschauer und drei Presseplätze. Selbst wer es in den Sitzungsraum geschafft hat, muss unter Umständen wieder gehen. Denn die Plätze werden nicht danach vergeben, wer zuerst zur Verhandlung aufschlägt, sondern danach, wer zuerst im Gerichtsgebäude war. So haben sich einige Pressevertreter bereits am frühen Vormittag ihre Zugangskarten mit der kleinsten Nummer gesichert. Wer um 13.30 Uhr keinen Sitzplatz hat, muss den Raum verlassen. Die Verhandlung gegen die Mitglieder des mutmaßlichen Buskartells beginnt. In einem immer noch zu vollen Saal, wie die Verteidigung kritisiert. Mit Anwälten und Geschäftsführern verschiedener Busfirmen, die, wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht, Bußgelder bezahlen müssen, sind fast 40 Prozessbeteiligte anwesend. Trotz der verschärften Maßnahmen im Saal zu viele, wie die Verteidigung bemängelt. Die Mindestabstände könnten nicht eingehalten werden. Das Gericht will die Verhandlung dennoch weiterlaufen lassen. Der Anklage zufolge war im Oktober 2015 im Bundeskartellamt ein anonymer Hinweis über den Verdacht „auf kartellrechtswidrige Verhaltensweisen durch Anbieter von Verkehrsleistungen im Öffentlichen Straßenpersonenverkehr in der Region Schwaben” eingegangen. Im März 2016 begann die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen. Die Beamten stießen im Zuge einer Durchsuchung bei einem der Busunternehmen auf ein 14 Jahre altes Dokument, in dem die Angeklagten vereinbarten, sich gegenseitig keine Konkurrenz zu machen. Die Absprache bezieht sich auf Ausschreibungen von Linien im Bereich des Augsburger Verkehrsverbundes (AVV) und im Kreis Dillingen. Die Busunternehmer verpflichteten sich in dem Dokument außerdem dazu, 100 000 Euro Strafe zu zahlen, falls sich jemand nicht an die Vereinbarung hielt. Im Lauf der Jahre sei diese Vereinbarung der Staatsanwaltschaft zufolge immer wieder fortgeschrieben worden. So zitiert die Anklage etwa das Ergebnisprotokoll eines Arbeitskreises zur Unternehmensentwicklung aus dem Jahr 2014, in dem festgehalten ist, dass die Absprache nach wie vor „sinnhaft” sei. Aus einem weiteren Protokoll geht hervor, dass durchaus darüber diskutiert wurde, ob die Vereinbarung überhaupt legal sei. In derselben Sitzung wurde jedoch auch zur Debatte gestellt, die Vereinbarung auch auf den Fernverkehr auszuweiten. Man einigte sich schließlich darauf, dass sie jedoch nur für den Öffentlichen Nahverkehr gültig sein solle. Unabhängig von diesen schriftlich fixierten Absprachen seien sich alle Angeschuldigten einig gewesen, dass ein sogenannter „Altbestandschutz” gelten sollte. Der bisherige Betreiber der Linien sollte also auch das erste Recht zur Abgabe eines Angebotes haben. „Bei allen Absprachen kam es den Angeschuldigten darauf an, den Wettbewerb im ÖPNV zum eigenen Vorteil zu beschränken und ihre Marktstellung zu sichern”, so die Staatsanwaltschaft. Die Vereinbarungen führten „zur Ausschaltung des Wettbewerbs zwischen den Beteiligten”. Die Anklage umfasst mehrere Ausschreibungen aus den Jahren 2015 bis 2017, die sich auf eine Gesamtsumme von 71 Millionen Euro belaufen. Von den Absprachen des mutmaßlichen Kartells soll besonders der Augsburger Verkehrsverbund betroffen sein, der aus Mangel an anderen Angeboten Aufträge möglicherweise zu teuer vergeben musste. Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich gegen 20 Personen ermittelt. Manche Verfahren wurden mittlerweile eingestellt. In einigen Fällen mussten die Personen eine fünfstellige Summe bezahlen und treten nun im Prozess als Zeugen auf, damit ist ihre Schuld strafrechtlich abgegolten. Zuletzt wurden zwei weitere Verfahren abgetrennt. Übrig bleiben eben jene sechs Personen, die seit gestern auf der Anklagebank in Saal 201 sitzen. Für das Verfahren hat das Gericht 18 weitere Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil ist demnach frühestens im März 2021 zu erwarten. Das erwartete Strafmaß für wettbewerbsbeschränkende Absprachen liegt zwischen einer Geldstrafe und bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug. Die Aufträge in der Anklage belaufen sich auf 71 Millionen Euro