Am 23. Dezember 1955 kam Aziz Amno in Enhil, einem kleinen Dorf im Südosten der Türkei, auf die Welt. In seinem Büro hängt ein Foto von dem Dorf. Es scheint an eine Zeit erinnern zu wollen, als alles noch geordnet und friedlich war. Amnos Geschichte ist jedoch blutig, von Trauer erfüllt und von Angst beherrscht. Und das nur, weil er und seine Vorfahren syrisch-orthodoxe Christen sind. Es ist etwa 100 Jahre her, dass seine Großmutter im Jahr 1915 als 13-jähriges Mädchen aus Hapsis von einer Räuberbande entführt und an einen muslimischen Kurden verkauft und mit ihm zwangsverheiratet wurde. Nach der Zwangsverheiratung sei sie geflohen und heiratete dann einen Assyrer. Doch der sei bald danach vom türkischen Militär ermordet worden. Sie heiratete erneut und bekam sieben Kinder. Doch auch ihr dritter Mann wurde von der türkischen Armee erschossen. „Sie hat es geschafft, mit Brotbacken ihre Familie am Leben zu erhalten”, bewundert Amno seine Großmutter. Amnos Name erzählt von der dramatischen Geschichte der Christen in der Türkei. Denn offiziell heißt er so erst seit kurzem. Zuvor kannte man ihn unter dem Namen Aktas. 1934 ersetzte die damalige türkische Regierung alle assyrisch-christlichen Namen durch türkische, „Aktas” wurde seiner Familie gegeben. Als er schon in Deutschland lebte, konnte er den Namen zunächst nicht ablegen. „Deutschland gab lange nicht die Erlaubnis dazu”, so Amno. Nach seiner Schulzeit arbeitete er für ein Jahr als Sekretär des damaligen Bischofs von Midyat. Von einem Religionslehrer, dem er im Unterricht zur Seite stand, lernte er Englisch. „Dann wollte ich nach Australien gehen. Eine Zukunft gab es in meiner Heimat für mich nicht”, erzählt der 64-Jährige. Sein Vorhaben scheiterte. Seine Verlobte, ebenfalls eine syrisch-orthodoxe Assyrerin, konnte jedoch als Gastarbeiterin nach Deutschland gehen. 1974 ging Aziz Amno (damals Aktas) als frisch verheirateter Ehemann nach Deutschland. Er war froh, als sein Leben in Bergen-Belsen in Niedersachsen auf deutschem Boden begann. „In der Türkei haben Christen bis heute keine Chance, sich politisch einzubringen. In Deutschland aber galten und gelten die Menschenrechte. Für unsere Kinder sollte das eine Selbstverständlichkeit werden”, sagt Amno. Den Menschen in seiner Heimat sei dies bis heute verwehrt. Als sein Schwiegervater, der in Augsburg lebte, starb, zog er mit seiner Frau und seiner Familie 1979 in die Fuggerstadt. Dort arbeitete er für verschiedene Firmen, bis er 1984 eine Festanstellung beim Mesopotamien-Verein als Lehrer für Religion und die aramäische Sprache bekam. Noch heute wirkt er bei diesem Verein ehrenamtlich mit. Am 1. Juni 1988 fing er schließlich als Sozialarbeiter beim Caritasverband für die Diözese Augsburg an und übernahm die Beratung für assyrische Christen und Arbeitnehmer aus der Türkei. „Da war niemand, der sich in all den Jahren über mich beschwert hätte”, erzählt er. Jeden Arbeitstag widmete er sich sechs bis acht Frauen und Männern. Mit dem Flüchtlingsstrom in 2015 wurden es mehr. Zehn, manchmal 15 oder sogar 20 Menschen suchten täglich seinen Rat. Fast 1000 Personen beriet er in jedem der vergangenen Jahre. Darunter waren Syrer, Assyrer, Kurden, Türken, Araber, Beduinen, arabisch sprechende Afrikaner, aber auch Rumänen und Bulgarier, die Türkisch sprachen. Seine Wurzeln in der Südosttürkei und seine nationale Herkunft gepaart mit seinem Sprachentalent machten ihn zu dem Ansprechpartner für Angehörige dieser Ethnien. „Ich meine, mein Bestes gegeben und vielen geholfen zu haben”, sagt Amno. Nun möchte er mit seiner Ehefrau für drei bis vier Monate im Jahr in seinen Heimatort Enhil zurückkehren. Als er 1974 fortging, lebten dort 250 syrisch-orthodoxe Familien, heute sind es nur noch drei. „Aber”, so Amno, „Heimat bleibt Heimat”. „In der Türkei haben Christen bis heute keine Chance, sich politisch einzubringen.”