Der 50-jährigen Krankenschwester, die bereits rund 31 000 Euro aus ihrem Bankschließfach abgeholt hatte, waren auf dem Weg zum Übergabeort, einem Supermarktparkplatz im etwa 50 Kilometer entfernten Kaufbeuren, Zweifel gekommen. Sie stoppte bei der Polizeiinspektion Bobingen. Dort klärten die Beamten die 50-Jährige über die Betrugsmasche auf und sicherten das Geld. Das Polizeipräsidium Schwaben Nord und die Polizeiinspektion Kaufbeuren stellten daraufhin mit dem Opfer den Betrügern eine Falle. Nachdem die 50-Jährige eine Tüte mit Drogerieartikeln, die sie zufällig im Auto hatte, am abgemachten Ort an einen Zaun gehängt hatte, konnten die Beamten den Abholer stellen. Vor Gericht stellte dieser sich am Mittwoch selbst als Opfer der Betrüger dar. Er habe nicht gewusst, was in der Tüte war. Aufgrund eines Rückfalls habe der Angeklagte, der ab seinem 18. Lebensjahr drogenabhängig gewesen sei, dringend Geld gebraucht, für seine Familie und für die Morphinpflaster. Ein alter Bekannter aus seinen Drogentagen habe ihm da ein verlockendes Angebot gemacht: Er solle eine Tüte abholen und dafür 2500 Euro bekommen. „Ich dachte, eine Tüte abholen, das kann nicht so schwer sein”, sagte der Angeklagte vor Gericht. Er sei zu diesem Zeitpunkt verwirrt gewesen und habe das Geld gebraucht, also habe er die Sache nicht hinterfragt. Wie die Polizei inzwischen herausgefunden hat, spielte der Bekannte des Angeklagten eine tragende Rolle in der Betrügerbande, die aus der Türkei agiert. Er rekrutierte wohl regelmäßig Abholer und wurde zwischenzeitlich festgenommen. Auch den Mann aus der Türkei, der daraufhin mit dem Angeklagten im Kontakt blieb, habe man unter anderem aufgrund der Handydaten des Angeklagten ermitteln können. Ihm komme eine noch tragendere Rolle zuteil, erklärte der zuständige Ermittler des Polizeipräsidiums Schwaben Nord. Als „Logistiker” habe er die Abholer gelenkt. Noch unbekannt ist, wer in diesem Fall als „Keiler” agierte, also als falscher Polizist, der die 50-Jährige dazu bewegte, den Anweisungen zu folgen. Der Trick mit den falschen Polizeibeamten sei seit fünf oder sechs Jahren bekannt, erzählten die Ermittler. Die „Keiler” seien dabei oft Bandenmitglieder mit besonders akzentfreiem Deutsch. Auch in diesem Fall sei das so gewesen, erzählte die 50-Jährige. Der Anrufer meldete sich als Michael Steinbeck, angeblicher Ermittler der K4 Augsburg. Er erzählte der Krankenschwester, in ihrer Nachbarschaft sei eingebrochen worden. Bei den Ermittlungen habe man eine Liste gefunden, auf der auch ihr Name stand. Als der 50-Jährigen Zweifel kamen, schlug der falsche Polizist ihr vor, sich an die 110 zu wenden. Allerdings landete sie dabei wieder bei den Betrügern. „Das war sehr gut getarnt”, erzählte sie. Dass der Angeklagte kein festes Mitglied der Betrügerbande war, glaubte das Schöffengericht ihm schließlich. Verteidiger Albert Braun hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen bandenmäßigen Betrugs gefordert hatte, betont: „Sie haben den Falschen erwischt.” Weniger glaubhaft fand die vorsitzende Richterin Sandra Dumberger die Schilderungen des Angeklagten, er hätte „überhaupt keine Ahnung gehabt”, um was es sich bei der Tüte handelte. Denn sein Chatverkehr belastete den 44-Jährigen schwer. „Das ist Falle, lieber nicht”, schrieb der Logistiker aus der Türkei etwa nach dem Zwischenstopp der Angeklagten bei der Polizei - die 50-Jährige sollte eigentlich in ständigem Telefonkontakt mit den Betrügern bleiben. Der Angeklagte antwortete darauf mit „Okay”. Die Zweifel konnte das Opfer schließlich ausräumen, indem sie einige Seriennummern der abgehobenen Geldscheine vorlas. Kurz vor der Übergabe schrieb der Angeklagte unter anderem: „Sie muss gleich da sein, oder? Also hier ist alles ruhig, die Situation”. „Für diese Tat wussten Sie, dass Sie Geld abholen sollten”, war Richterin Dumberger angesichts dieser Unterhaltung überzeugt. Da der 44-Jährige wegen Drogen- und Diebstahlsdelikten bereits zehnmal vorbestraft ist, sah das Gericht keine positive Sozialprognose und verurteilte ihn deshalb wegen Mittäterschaft zum Betrug zu einer Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung. Angeklagter stellt sich selbst als Opfer dar