Permanent wird sein Sprachvermögen getestet. Dr. Ina Konietzko lässt den Patienten in einfachen Sätzen Dinge benennen, die in regelmäßiger Abfolge auf ihrem Tablet erscheinen. Wird das zu anstrengend, unterhalten sich Ärztin und Patient über alltägliche Dinge. Wird die Sprache des Patienten undeutlich oder langsamer, legt der Operateur eine Pause bei der Tumorresektion ein. Aus insgesamt acht Personen besteht das Ärzte-Pflege-Team, das diesen Eingriff durchführt. Es ist der zweite dieser Art am UKA. Vor circa vier Wochen hatte Shiban einen Patienten mit ähnlicher Diagnose. Es ist ein sogenannter hirneigener Tumor nahe dem Sprachzentrum. Die Prognose sei derzeit noch schlecht, Tumore dieser Art sind nicht heilbar. Zu ein paar mehr Jahren Lebenszeit verhelfen sie den Patienten dennoch. Und die Hoffnung, dass auch gegen diesen Krebs ein Medikament gefunden wird, besteht immer. Weltweit erkranken drei bis vier Menschen auf 100 000 Einwohner. „Wir machen diese OP nicht um jeden Preis”, sagt Dr. Shiban. „Merken wir, dass dem Patienten die Worte zwar auf der Zunge liegen, er sie aber nicht mehr aussprechen kann, brechen wir ab. Der Erhalt der Sprachfähigkeit ist dann für den Patienten wichtiger.” Hirntumoroperationen sind oft ein Balanceakt. Auf der einen Seite ist gerade bei hirneigenen Tumoren das Resektionsausmaß entscheidend für die Prognose. Wird der Tumor komplett entfernt, ermöglicht dies dem Patienten ein längeres Überleben. Andererseits dürfen bei der Operation wichtige Nervenbahnen und Hirnstrukturen nicht verletzt werden. Deshalb kommen in der modernen Neurochirurgie verschiedene Hilfsmittel und Überwachungsmöglichkeiten zum Einsatz: Bei der Neuronavigation handelt es sich um ein computergestütztes Verfahren, das mittels vorher angefertigter Kopf-CT- oder Kopf-MRT-Bilder eine räumliche Orientierung im Gehirn des Patienten während des Eingriffs ermöglicht. Des Weiteren können bösartige Tumore, so genannte Glioblastome, „zum Leuchten” gebracht werden. Hierzu muss der Patient einige Stunden vor der OP ein Medikament trinken. Die enthaltene Aminosäure 5-Aminolävulinsäure (5-ALA) wird von den Tumorzellen aufgenommen und zu einem Metaboliten verstoffwechselt, der unter Blaulicht pinkfarben leuchtet. So kann der Chirurg beim Operieren mit dem Mikroskop Krebsgewebe gut von gesundem Gewebe unterscheiden und sicherstellen, so dass nur krankes Gewebe entfernt wird. In Fällen, in denen die Fluoreszenz keinen eindeutigen Hinweis auf erkranktes Gewebe erkennen lässt, kann zusätzlich mittels intraoperativem Ultraschall die weitere Entfernung ermöglicht werden. Diese Methode wird von Dr. Björn Sommer, der das Team der Neurochirurgie seit April verstärkt, etabliert. Mit dem intraoperativen Neuromonitoring (IOM) kann die Funktionstüchtigkeit verschiedener Strukturen des Nervensystems überprüft werden. Je nach Lage des Tumors im Gehirn kann zum Beispiel die Überwachung des Gehörs, der Augen-, Gesichts-, Schlund- oder Kehlkopfmuskulatur versorgender Nerven sinnvoll sein. Die Verletzung eines dicken motorischen Nervenfaserbündels, auch Pyramidenbahn genannt, könnte eine Halbseitenlähmung zur Folge haben. Um dies zu vermeiden, ist ein permanentes Monitoring der Pyramidenbahn mittels motorisch evozierter Potenziale erforderlich. Hierbei werden kleinste Stromstöße zum Beispiel über Elektroden in der Kopfhaut ans Gehirn abgegeben und die über das Rückenmark bis in die Arm- oder Beinmuskulatur fortgeleiteten Antwortpotenziale gemessen. Nur für die Sprache gibt es auch nach neuestem Stand der Forschung noch keine technischen Überwachungsmöglichkeiten. Um das Sprachvermögen während einer OP zu testen, muss der Patient wach bleiben. Mit aller Kraft setzte sich Dr. Shiban gemeinsam mit seinen Kollegen dafür ein, Hirntumoroperationen am wachen Patienten auch am UKA durchführen zu können. So fand im März 2020 die erste erfolgreiche Wachkraniotomie in Augsburg statt. Nach einer Stunde hat Dr. Shiban den Tumor komplett entfernt, die OP ist ein voller Erfolg. Er bedankt sich beim Team und sagt noch: „Die Pflege am UKA ist top, das kenne ich auch anders”, bevor er zur nächsten OP eilt. Insgesamt dauert die OP etwas mehr als drei Stunden, was zum einen an einer intensiven Vorbereitungszeit des Anästhesisten mit dem Patienten liegt. Zum anderen aber an der allein halbstündigen Lagerungszeit des Patienten, dessen Kopf in einer sogenannten Kopfzwinge verschraubt wird, so dass ein Verrutschen selbst im Nano-Millimeter-Bereich ausgeschlossen ist, wie Pflege-Teamleiterin Inge-Marie Stamp erklärt. Bösartige Tumore können „zum Leuchten” gebracht werden