Dabei geht es längst nicht allein um die Preisgestaltung, darin waren sich die Vertreter von verschiedenen Verkehrsbetreibern, des AVV und der Regierung von Schwaben, die auf dem Podium im Rathaus Platz genommen hatten, einig. So räumten sie einem 365-Euro-Ticket wenig Chancen ein, die Fahrgastzahlen zu verbessern. Wichtiger wäre es, das Angebot zu verbessern. „Mehr Halte, höhere Taktfrequenzen”, brachte Bastian Goßner, Mitarbeiter des Bahnunternehmens Go Ahead, die Bedürfnisse im AVV auf den Punkt. Als Modellstadt für ein 365-Euro-Ticket muss meist die österreichische Bundeshauptstadt Wien herhalten. Dort hat der Öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) einen Anteil von 40 Prozent, in Augsburg sind es 17 Prozent. Andreas Mayer, Übergangs-Geschäftführer des AVV, berichtete, dass in Wien vor der Einführung eines solchen Tarifs erst das Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel massiv ausgebaut wurde. Das hatte dann eine bessere Nutzung des ÖPNV zur Folge. Die Einführung des 365-Euro-Tickets habe dann nur noch geringen Einfluss gehabt, wie laut Mayer Untersuchungen in Österreich zeigen. „Zu den Hauptverkehrszeiten sind die Fahrzeuge schon voll”, ergänzte Goßner. Die Folge von überfüllten Zügen, Bussen und Trams nach seiner Einschätzung: Neukunden sind enttäuscht und die Stammkunden genauso. Darum gilt für Goßner zwingend, dass zuerst die Infrastruktur ausgebaut werden muss, dann erst könne man über billigere Tickets nachdenken. Magdalena Federlin, die für die Grünen im Kreistag Aichach-Friedberg sitzt, sah das anders: „Ich will nicht glauben, dass der Preis keine Rolle spielt”, sagte sie. Man müsse auch Anreize schaffen, damit die Menschen auf den ÖPNV umsteigen. Emotional diskutiert wurde auch das Seniorenticket - oder besser: das fehlende Seniorenticket. Seit der Tarifreform müssen ältere Mitbürger auf das Neun-Uhr-Abo zurückgreifen, wenn sie sich nicht gleich ein normales Jahresabonnement leisten wollen oder können. Der Nachteil: Das Neun-Uhr-Abo gilt eben erst ab neun Uhr morgens. Doch viele Senioren müssten eben schon früher unterwegs sein, etwa für Arztbesuche, wie Roland Lösch vom Seniorenbeirat Augsburg die Anwesenden erinnerte. Mayer hielt dem entgegen, dass eine Wiedereinführung des Seniorentickets für 48 Euro monatlich eine zusätzliche Investition von 1,5 Millionen Euro nötig machen würde - ein Betrag, den die Verfechter des Seniorenabos nicht glauben wollten. Doch ohnehin sei es für die „Masse der Senioren” keine höhere finanzielle Belastung, wenn sie zum Neun-Uhr-Abo mit Streifenkarten dazu stempeln, um frühere Fahren zu erledigen, erklärte Sabine Beck. Sie ist bei der Regierung von Schwaben für die Genehmigung neuer Tarife zuständig. Allerdings musste sie zugeben: „Es ist komplizierter geworden.” Genau das ist auch der Knackpunkt für viele Beschwerden aus dem Stadtgebiet Augsburg. Es werde besonders Gelegenheitsfahrern schwer gemacht, den richtigen und günstigsten Tarif zu wählen: Einzelfahrt, Streifenkarte, Kurzstrecke und ab 2020 auch noch die City-Zone, in der Busse und Trams umsonst benutzt werden können, stehen zur Auswahl. Und: „Es ärgert die Leute, zwei Streifen stempeln zu müssen, wo sie vorher nur einen stempeln mussten”, erklärte der Augsburger Stadtrat Max Weinkamm (CSU) den Frust vieler Augsburger darüber, dass für Einzelfahrten die Stadtzonen zehn und 20 zusammengelegt wurden. Helfen könne hier ein eTarif, der per App auf dem Smartphone anhand von Einstieg und Ausstieg ins Verkehrsmittel errechnet wird - freilich soll da immer der günstigste Tarif für den Fahrgast gewählt werden. Weinkamm gab zu bedenken, dass längst nicht alle Senioren ein Smartphone nutzen. Doch bei aller Kritik sehen die Stadtwerke Augsburg und der AVV die Reform als durchaus erfolgreich an - zumindest was den Zuwachs an Fahrgästen und abgeschlossenen Abonnements anbelangt. Stadtwerke-Geschäftsführer Walter Casazza sprach von einem zu erwartenden Rekord von 64 Millionen Fahrgästen für die Stadtwerke im laufenden Jahr. Mit den abgeschlossenen Abos, besonders dem Neun-Uhr-Abo, sei er zufrieden. Zu echten Lösungsvorschlägen oder gar einer abschließende Bewertung des 365-Euro-Tickets kam es so während des Expertengesprächs letztlich nicht. Das sei auch gar nicht Ziel der Veranstaltung gewesen, wie Augsburgs Wirtschaftsreferentin Eva Weber erklärte. Vielmehr sollten Fragen gestellt werden. Das wurde reichlich, die Antworten allerdings stellten niemanden so richtig zufrieden. Am Ende blieb vor allem die Erkenntnis, die Silvia Daßler (Grüne), Kreisrätin im Landkreis Augsburg, so zusammenfasste: „Ich nehme mit: Wir werden keine besseren Lösungen bekommen, wenn wir nicht mehr Geld ausgeben.” Für kommendes Jahr ist die offizielle Beurteilung geplant, in die sicher auch die nun offen gelegten Mängel einfließen werden. Durch eine veränderte Fördersituation und die inzwischen gereifte Erkenntnis, dass die Aufgabenträger mehr in den ÖPNV investieren müssen, kann vielleicht eine weitere Reform die noch bestehenden Schwächen ausmerzen. Geringe Chancen für das 365-Euro-Ticket