„Lesen ist und bleibt auch im digitalen Zeitalter eine Schlüsselkompetenz. Es ist der Türöffner zu gesellschaftlicher Teilhabe und einem selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Leben”, betonte Sibler, und darin waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, zu denen neben dem Minister Professor Klaus Zierer, Ordinarius am Lehrstuhl für Schulpädagogik an der Uni Augsburg, Peter Kosak, Leiter des Schulwerks der Diözese Augsburg, Medienredakteur Daniel Wirsching und Ulrike Schaupp, Akademische Rätin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gehörten. „Tl; dr.” Was das heißt? „Too long; didn't read.” Ein typischer digitaler Kommentar in einer Zeit, in der Menschen einer Ohnmacht nahe sind, wenn sie etwa das Buch „Der Zauberberg” von Thomas Mann lesen sollen. 1000 Seiten. Aber wozu auch Lesen? Man kann doch googeln? Aber ob dann alles stimmt, was man erfährt? „Wer nichts weiß, muss alles glauben”, warnte der Minister. Sibler ist sozusagen oberster Dienstherr der öffentlichen Bibliotheken, und als solcher erklärte er: „Unsere Bibliotheken sind wichtige Anlaufstellen, wenn es darum geht, junge Menschen an die Welt der Bücher heranzuführen.” Lesen gilt als selbstverständliche Kulturtechnik. Doch wie ist das im Zeitalter der Digitalisierung? Lehrer beklagten sinkende Lesekompetenz, berichtete Ulrike Schaupp. Nicht nur in der dritten Klasse sitzen Kinder, die sich damit noch schwer tun, auch auf dem Gymnasium hapert es oft noch in der Mittelstufe, vor allem, wenn es um das Textverständnis geht. Sibler sagte, heuer beim umstrittenen Mathe-Abitur hätten die Probleme darin gelegen, dass die Aufgaben zu viel Text beinhalteten. Der Einfluss der Digitalisierung auf die Lese-Praxis ist in vielen Lebensbereichen spürbar: in der Schule, der Forschung, im Bibliothekswesen und bei den Printmedien. Redakteur Wirsching berichtete von einer Studie, wonach es sich in wenigen Jahren für eine Zeitung nur noch am Wochenende lohne, eine Printausgabe anzubieten. Das E-Paper verzeichne steigende Abozahlen im hohen, zweistelligen Bereich. „Wir werden schon in zehn Jahren ganz anders lesen, als jetzt”, prophezeihte er. Professor Zierer berichtete von 900 Lehramtsanwärtern, die in seinem Hörsaal säßen, und von denen lediglich zehn täglich Zeitung lesen würden. Doch wie sollen derartige Lehrer später den Schülern ein Vorbild sein? Dabei spiele es keine Rolle, wie Kinder zum Lesen gebracht würden: „Lucky Luke war meine wichtigste Lektüre bis zu meinem 17. Lebensjahr”, gestand er. Ansonsten habe er die meiste Zeit auf dem Fußballplatz verbracht. Die Schule, sagte Sibler, sei jedenfalls nicht der Heilort für alle Probleme dieser Welt. Er forderte eine enge Kooperation mit den Elternhäusern. Peter Kosak zitierte Karl Valentin: „Wir können unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns eh alles nach.” Die Eltern also sollten „der Muse Zeit geben, zu küssen”, so Sibler. Er selbst fand als Jugendlicher in der Deggendorfer Bücherei einen „Rückzugsort”. Er berichtete von einer Lehrerin, die einer achten Klasse eine Schallplatte vorspielte. Schneewittchen, ein Märchen der Gebrüder Grimm. Die meisten Schüler hörten zum ersten Mal davon.