Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 22.08.2019 23:00

Pfleger muss ins Gefängnis

Das Verfahren gegen den Pfleger begann im Juli. Es mussten dann weitere Verhandlungstage anberaumt werden, um einen Gutachter zu beauftragen. Denn erst zu Verhandlungsbeginn hatte der Angeklagte sich überraschend damit verteidigt, er habe dem Patienten, der an einer schmerzhaften Dauererektion gelitten habe, nur helfen wollen (wir berichteten).

Der Gutachter, Urologe Dr. Harald Munding von der Uniklinik Augsburg, legte nun dar, eine krankhafte Dauererektion, die mehrere Stunden andauere, wäre durch, wie er es nannte, „Rubbeln” nicht zu beseitigen, sondern ein medizinischer Notfall.

Der Pfleger war von einer Kollegin eines nachmittags zufällig dabei beobachtet worden, wie er den handlungsunfähigen 26-jährigen Patienten, der seit einem Sturz vom Gerüst im Wachkoma liegt, befriedigte und nebenbei fernsah. Am nächsten Morgen entdeckte man beim Waschen des jungen Mannes Verletzungen an dessen Geschlechtsteil. Die Abdrücke von Fingernägeln und ein sogenannter „spanischer Kragen”, könnten durchaus entstehen, so Munding, wenn man mit Handschuhen ohne Gleitmittel manipuliere.

Der Hausarzt des Patienten sagte aus, es habe in den sechs Jahren, in denen er diesen in dem Pflegeheim betreue, nie den Verdacht auf eine krankhafte Dauererektion gegeben. Natürlich habe der Patient ab und zu Erektionen, doch das sei ganz normal. Verschiedene Pflegekräfte berichteten, sie hätten den jungen Mann in so einem Fall eben wieder zugedeckt und in Ruhe gelassen. Allerdings erinnerte sich der Hausarzt nun vor Gericht daran, dass der Angeklagte ihn etwa zwei Wochen vor der Tat einmal auf eine Dauererektion hingewiesen habe. „Bewusst” sei er nicht auf das sensible Thema eingegangen, so der Mediziner. Über so etwas würde er „allenfalls mit der Pflegedienstleitung sprechen”, doch diese sei an dem Tag nicht da gewesen. So habe er die Angelegenheit wieder vergessen. Die Nachfrage, ob er denn nach dem Hinweis des Pflegers den Patienten untersucht, wenigstens die Bettdecke angehoben habe, verneinte der Arzt. Auch die Pflegeprotokolle kontrolliere er grundsätzlich nicht, diese seien Betriebseigentum der Einrichtung und er sehe nur nach, ob man etwas extra für ihn aufgeschrieben habe.

Verteidiger Wolfgang Polster betonte, außer dem Angeklagten habe sich niemand des Themas der mutmaßlichen Dauererektion angenommen. Der 42-Jährige habe nur helfen wollen, vielleicht das Problem falsch eingeschätzt. Während der Rechtsanwalt hinsichtlich des sexuellen Übergriffs einen Freispruch beantragte und zur Sanktionierung der Körperverletzung auf eine Geldstrafe in Höhe eines Monatssalärs seines Mandanten plädierte, forderte Staatsanwältin Birgit Milzarek zweieinhalb Jahre Haft. Sie ist überzeugt, dass der Pfleger sexuell motiviert handelte: „Er wollte ausprobieren, wie der Patient reagiert. Dieser war ihm schutzlos ausgeliefert und wurde massiv geschädigt.”

Nicht geholfen hat dem Angeklagten, dass er dem Sachverständigen, der ihn in Untersuchungshaft begutachtete, anvertraute, dass er zwar verheiratet und Vater dreier Kinder sei, jedoch bisexuelle Neigungen verspüre. So gelangte das Schöffengericht unter Vorsitz von Rita Greser zur Überzeugung, der 42-Jährige sei nach der Trennung von seiner Frau zur Tatzeit „sexuell nicht ausgelastet” gewesen und habe deshalb „die Dreistigkeit und Frechheit besessen, seine berufliche Tätigkeit auszunutzen, um sich Erregung zu verschaffen”. Deshalb müsse eine „deutliche Freiheitsstrafe” verhängt werden, auch um der Mutter des Komapatienten, die ihn als Nebenklägerin vertrat, „Genugtuung zu verschaffen”, denn diese sei nach dem schweren Unfall ihres Sohnes erneut traumatisiert worden. Sicher frage sich die Frau, die sich auf die Versorgung in der Wohngruppe verlassen habe: „Was sollen wir denn noch tun, damit es dem Sohn in seinem beklagenswerten Zustand gut geht?”


Von Monika Grunert Glas
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