Die Augsburger, scherzte Gauck zu Beginn, seien schon ein besonderes Völkchen, würde man doch annehmen, bei diesem Wetter würde man sich im Biergarten wohler fühlen als im Goldenen Saal. Doch dieser war so gut wie ausgebucht. Sogar der „König von Augsburg” hatte sich ein Ticket geholt und verfolgte die Veranstaltung interessiert - wie für ihn typisch, im Stehen.
Gauck berichtete von sehr persönlichen Erfahrungen, die er mit der Freiheit machte. Geboren im Krieg, aufgewachsen in der DDR: „Ich habe die meiste Zeit meines Lebens unfrei gelebt”, resümierte er. Auch als evangelischer Pfarrer sah er sich mit starken Einschränkungen konfrontiert. Seine Kinder durften kein Abitur machen, weil sie nicht Mitglieder in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) waren. „Wer in Unfreiheit lebt, dessen Wunsch nach Freiheit, danach, frei seine Meinung sagen zu dürfen, ohne dafür diskriminiert, gehänselt oder gar eingesperrt zu werden, wird unheimlich stark”, sagte der 79-Jährige. „Du lebst, als wärst du ein störungsfreies Rädchen. Aber irgendwann reicht es den Menschen.” Später berichtet er, wie sein Widerstand begann, der ihn schließlich zum Sprecher der Bürgerbewegung werden ließ: „Die Verweigerung der Begeisterung. Nicht dabei sein, wenn alle Hurra schreien.”
Alle zehn Minuten ein neuer Gesprächspartner: Ob er schon mal Speed-Dating gemacht habe, fragt Moderator Sammy Khamis vom Bayerischen Rundfunk den Politiker. „Eigentlich hatte ich das nicht so nötig”, antwortet Gauck schlagfertig. Dann widmet er sich den Fragen „des jungen Augsburg”. Zu den jüngsten Gesprächspartnern gehören Lorena und Luis von Fridays for Future. „Sie werden nicht die Zeit haben, die Auswirkungen des Klimawandels mitzuerleben”, geht ihn der 16-Jährige nassforsch an, doch Gauck nimmt dem Burschen den Wind aus den Segeln: „Eine Menge Leute meiner Generation haben sich mit diesen Themen schon befasst, als Sie noch nicht geboren waren. Denen verdanken Sie viele Impulse.”
Nicole Schneiderbauer hat ein Theaterprojekt begleitet, das sich mit Diktaturen auseinandersetzte. „Wie widerständig muss Kunst sein?”, fragte sie. „Ein Künstler ist nicht erst dann Künstler, wenn er im Widerstand ist”, antwortete Joachim Gauck. Seine Hauptbotschaft: „Die Freiheit des Erwachsenen heißt Verantwortung.” Es beginne bei der Erziehung: „Eltern tun Kindern nichts Böses, wenn sie sie fordern.” Eine Demokratie benötige Mitmachen: „Wer nur zuschaut, wird unzufrieden und nörglerisch.” Wer hingegen in Beziehung zu anderen lebe, der rufe seine Fähigkeit zur Verantwortung ab.
Gauck betonte, es käme nicht in erster Linie darauf an, wo sich jemand engagiere: „In einer offenen Gesellschaft muss ich es ertragen, wenn jemand nicht meiner Meinung ist.” Im Hinblick auf die Migration erklärt der ehemalige Bundespräsident: „Wir müssen den Hass aus dem öffentlichen Leben bannen. Er darf nicht zur alltäglichen Umgangsform werden. Auch nicht im Internet. Universelle Werte bringen uns zusammen, obwohl wir verschieden sind. Wir müssen untereinander im verständigenden Diskurs bleiben.”