Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 11.07.2019 12:00

Das Tabu-Thema

Der 42-Jährige räumte gleich zu Beginn der Verhandlung unter Vorsitz von Richterin Rita Greser ein, an einem Nachmittag im vergangenen November am Geschlechtsteil seines Patienten, der in einer Wohngruppe lebt, manipuliert zu haben. Doch nicht, wie Staatsanwältin Birgit Milzarek ihm vorwirft, um sich zu befriedigen. Er habe dem Kranken lediglich Erleichterung verschaffen wollen, denn dieser habe an einer Dauererektion gelitten, behauptete er.

Der Angeklagte berichtete, er hätte derartige Zustände bei dem Komapatienten schon öfter beobachtet und das auch dokumentiert. Dem Gericht lagen jedoch die Krankenakten nicht vor. Bislang schien es nicht nötig, diese einzusehen, da der 42-Jährige die Rechtfertigung von wegen Dauererektion zum Verhandlungsauftakt erstmals vortrug. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Wolfgang Polster, sagte, auch er habe erst am Dienstag davon erfahren. Zu spät, um die Unterlagen noch herbeizuschaffen. Unter anderem deshalb wird sich der Prozess bis mindestens August erstrecken. Dann soll auch der Hausarzt des Komapatienten aussagen, denn diesen habe er um Abhilfe gebeten, sagte der Pfleger. Der Doktor habe jedoch gemeint, man müsse nichts gegen die Erektionen unternehmen, die seien schon auszuhalten.

Als der 42-Jährige am 21. November morgens gegen 8.30 Uhr den Patienten wusch, bemerkte er dessen Erektion. Zunächst wohl nichts Ungewöhnliches, erklärten mehrere Krankenschwestern und Pfleger im Zeugenstand. Der Patient habe auf Berührungen stets sehr sensibel reagiert. Sie sagten jedoch, sie hätten den Mann dann mit einem Handtuch abgedeckt, derweil Gesicht oder Füße gewaschen, und einige Minuten später habe sich die Lage stets beruhigt. Beim nächsten Umbetten nach drei bis vier Stunden sei es jedoch durchaus zu weiteren Erektionen gekommen. Während das restliche Personal zwischen diesen Intervallen nicht nach dem Rechten sah, kontrollierte der Angeklagte nach eigener Aussage an diesem Novembertag alle halbe Stunde den Zustand des Komatösen. Gegen 15.30 Uhr schien ihm die Situation dann zum ernsten Problem zu werden. Er befürchtete ein Absterben des Gewebes, das sich ihm stellenweise schlecht durchblutet darstellte. Statt nun einen Vorgesetzten um Rat zu bitten, einen Arzt zu verständigen oder schlicht eine kalte Waschung vorzunehmen, wie eine Schwester meinte, dass sie es im Fall der Fälle vielleicht getan hätte, griff der Angeklagte zu. Nach einigen Minuten habe die Erektion nachgelassen, sagte er.

Was der 42-Jährige nicht ahnte: Eine Pflegeschülerin beobachtete sein Tun. Sie wusste, dass der Angeklagte den Patienten umlagern wollte und fand es merkwürdig, dass sie aus dem Raum längere Zeit nichts hörte: „Nicht einmal das Surren vom Lift”, so die junge Frau. Deshalb sah sie nach. Die Tür zu Zimmer 132 war nicht geschlossen: „Er saß an seinem Bett, guckte in den Fernseher und manipulierte mit der rechten Hand am Patienten. Ich war vollkommen geschockt. Ich bin zuerst weitergegangen, dann umgekehrt - er war immer noch dabei.” Sie meldete den Vorfall zunächst nicht.

Am Tag danach entdeckte die Schwester, die morgens den Wachkomapatienten wusch, Verletzungen in dessen Intimbereich. Sie informierte die Pflegedienstleiterin. Die Schülerin bekam das mit und nun rückte sie damit heraus, was sie beobachtet hatte. Das nahm sie im Übrigen so mit, dass sie sich danach in eine Therapie begeben musste. Ihre Psychologin sagte, die junge Frau habe ein Trauma erlitten, an ihrer Wahrhaftigkeit aber habe sie keine Zweifel - auch wenn sie den Patienten, eventuell im Scherz, als ihren „Schatzi” und dessen Mama als ihre „Schwiegermutter” bezeichnet hatte.

Mehrere Kollegen und Vorgesetzte des im Übrigen verheirateten Angeklagten berichteten, dieser habe zwar so seine Probleme bei der Arbeit, man habe ihn aber ins Team aufgenommen. Er sei nett, freundlich, ein umsichtiger Pfleger, nie grob. Derartiges hätte man ihm nie zugetraut. Er wurde fristlos entlassen.


Von Kristin Deibl
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