Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 18.09.2018 12:00

Schlüsseldienst wegen Wuchers verurteilt

Der junge Mann befand sich noch in der Umzugsphase. Er schraubte an diesem Samstagabend Ende Oktober vergangenen Jahres gerade Möbel in seiner Wohnung im Georgsviertel zusammen und hatte alle Türen zur Dachterrasse weit geöffnet, als seine Freundin unten am Haus klingelte. Er ging ins Treppenhaus, sie öffnete unten die Pforte - ein Windstoß, und hinter ihm fiel die Wohnungstür ins Schloss. Das war dem 29-Jährigen noch nie passiert. Im T-Shirt, in Jogginghose und mit Hausschlappen stand er nun da. Was tun? Ein Schlüsseldienst am Samstagabend könnte teuer werden, das war ihm klar. Aber mit zur Freundin gehen und bis Montag warten? Bei weit offenen Terrassentüren?

Also nahm die Freundin ihr Handy und googelte nach einem Schlüsseldienst. „Wir haben gleich den ersten, der auf der Liste stand, angerufen”, erzählte der 29-Jährige dem Richter. Als man nach dem Preis fragte, habe man am Telefon keine Auskunft bekommen. „Aber in der Anzeige wurde geworben, dass man besonders günstig arbeite, unter 50 Euro”, erinnerte er sich.

Es dauerte fast eine Stunde, bis der Schlüsseldienst kam. Dieser bestand aus dem 52-jährigen Angeklagten, der den Auftrag von einer Agentur erhalten hatte. Er legte dem Ausgesperrten sogleich eine Rechnung vor, die 159 Euro für die Türöffnung auflistete, 30 Euro Rufpauschale, Anfahrtskosten und Mehrwertsteuer sowie 100 Prozent Aufschlag für den Einsatz außerhalb der normalen Öffnungszeiten.

„Das fand ich schon teuer”, meinte der Geschädigte. „Aber was sollte ich tun? Ich dachte, wenn ich den nun wieder wegschicke, berechnet er auf jeden Fall die Anfahrt. Und wer weiß, was dann ein anderer Schlüsseldienst verlangen würde?” Also stimmte er zu und stand nach einer halben Minute wieder in seiner Wohnung.

Später am Abend guckte er noch einmal ins Internet und stellte fest, bei aller Freiheit, die Schlüsseldienste bei ihrer Preisgestaltung haben, über 400 Euro wären dann doch etwas viel. Er ging zur Polizei, diese riet zur Anzeige wegen Wuchers.

Zunächst erging gegen den Mann vom Schlüsseldienst ein Strafbefehl über 5000 Euro. Man ging bei ihm von einem Nettoverdienst von 3000 Euro aus. Er legte Einspruch ein. Aber nicht, weil er tatsächlich deutlich weniger Einkommen hat. Er ist sich keiner Schuld bewusst und betonte das auch gestern noch einmal vor Gericht. Mehrfach legte ihm Richter Wagner nahe, seinen Einspruch auf die Strafhöhe zu beschränken, auch noch, nachdem der erste Zeuge schon ausgesagt hatte und klar war, dass es sich um Wucher, nämlich das Ausbeuten einer Notlage, handelte, doch er wollte partout ein Urteil.

Schlüsseldienste gehören zum Fachverband Metall, und dieser gibt aus kartellrechtlichen Gründen keine Preisempfehlungen heraus. Richter Dominik Wagner ließ also die ortsüblichen Preise ermitteln. Die beiden größten Augsburger Schlüsseldienste hätten im Fall der einfachen Türöffnung an einem Samstagabend in der Innenstadt 75 beziehungsweise 60 bis 100 Euro in Rechnung gestellt. Pauschal.

Staatsanwältin Stephanie Kastl-Schmid plädierte daraufhin auf eine Strafe von 80 Tagessätzen zu je 25 Euro. Verteidiger Sven Grobmüller meinte, der 29-Jährige habe die Preise gekannt, nur weil zwei Schlüsseldienste billiger seien, könne man nicht von Wucher sprechen. Zudem habe sich der 29-Jährige in keiner Zwangslage befunden, die Terrassentür im vierten Stock hätte er ja offen lassen können.

Auch Richter Dominik Wagner kam am Ende auf eine Geldstrafe von 2000 Euro, setzte sie jedoch aus 50 Tagessätzen zu je 40 Euro zusammen. Der Angeklagte arbeitet inzwischen nicht mehr als Schlüsseldienst und verdient als Ausfahrer etwa 900 Euro. Da seine Frau deutlich mehr Gehalt hat, wurde ihm das zum Teil angerechnet. So kam die Tagessatzhöhe zustande. Zwangslage ausgenutzt, Preise nicht angemessen


Von Monika Grunert Glas
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