Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 03.08.2021 17:04

Haft für Schützen

Unzufrieden mit dem Urteil:   Verteidiger Werner Ruisinger (Mitte) und sein Kollege Florian Schraml können die Entscheidung über ihren Mandanten nicht nachvollziehen. 		Foto: Patrick Bruckner (Foto: Patrick Bruckner)
Unzufrieden mit dem Urteil: Verteidiger Werner Ruisinger (Mitte) und sein Kollege Florian Schraml können die Entscheidung über ihren Mandanten nicht nachvollziehen. Foto: Patrick Bruckner (Foto: Patrick Bruckner)
Unzufrieden mit dem Urteil: Verteidiger Werner Ruisinger (Mitte) und sein Kollege Florian Schraml können die Entscheidung über ihren Mandanten nicht nachvollziehen. Foto: Patrick Bruckner (Foto: Patrick Bruckner)
Unzufrieden mit dem Urteil: Verteidiger Werner Ruisinger (Mitte) und sein Kollege Florian Schraml können die Entscheidung über ihren Mandanten nicht nachvollziehen. Foto: Patrick Bruckner (Foto: Patrick Bruckner)
Unzufrieden mit dem Urteil: Verteidiger Werner Ruisinger (Mitte) und sein Kollege Florian Schraml können die Entscheidung über ihren Mandanten nicht nachvollziehen. Foto: Patrick Bruckner (Foto: Patrick Bruckner)

In gut ein Dutzend Verhandlungstagen wurde der Werdegang des jungen Augsburger aufgedröselt. So gab es bereits bei seiner Geburt Komplikationen und er litt unter Sauerstoffmangel. Später dann, in der zweiten Klasse, folgten die ersten Probleme mit den Mitschülern und schließlich diagnostizierten Ärzte ADHS. Im Alter von zwölf Jahren fing er an, vermehrt Alkohol und Drogen zu konsumieren. Von ADHS-Medikamenten über Cannabis, Kokain und LSD bis hin zu Heroin war alles dabei.

Doch gerade in den letzten Monaten vor der Tat soll sich die Situation immer weiter zugespitzt haben. Wie Verteidiger Werner Ruisinger in seinem Plädoyer deutlich sagte, habe sein Mandant in dieser Zeit „die Kontrolle über sein Leben verloren”. Straftaten häuften sich und er wurde immer hemmungsloser und aggressiver gegenüber Polizisten. Laut psychiatrischem Gutachter hätte sich der junge Mann immer mehr zu einem „Outlaw”, also Gesetzlosen, entwickelt, für den die Polizei „wie ein rotes Tuch bei einem Stier” wäre.

So auch am Abend des 19. Juni 2020. Dieser Tag habe sich nach Auffassung des Gerichts zunächst nicht von den anderen Tagen im Leben des damals 19-Jährigen unterschieden. Er bettelte in der Innenstadt und ging in den Netto am Königsplatz, wo er einen Tetra Pak Wein klaute. Als ihn ein Security-Mitarbeiter draußen vor dem Discounter ansprach, ging er bereitwillig mit. Ähnliche Situationen waren dem jungen Mann bestens bekannt.

Erst als Polizisten in das Büro hinzukamen, in dem der mutmaßliche Dieb auf die Beamten wartete, eskalierte die Situation. Als die Ordnungshüter ein Messer, das vor ihm auf dem Tisch lag, an sich nehmen wollten, kam ihnen der Unruhestifter zuvor und ging auf die Polizisten los, die zurückwichen und die Tür verschlossen.

Während weitere Einsatzkräfte auf dem Weg waren, legte der 19-Jährige ein Feuer. Die Polizei brach die Tür auf und wollte den Mann überwältigen, doch der Einsatz von Feuerlöscher und Pfefferspray zeigten aufgrund der Mischung aus Alkohol, Drogen und dem hohen Adrenalinspiegel keinerlei Wirkung bei dem Randalierer.

Aus Sicht des Gerichts sei letztlich der Schusswaffengebrauch der Polizisten gerechtfertigt gewesen. Die Verteidiger hatten auf tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte plädiert, da mehrere Beamte als Zeugen unterschiedliche Positionen eines Messer schilderten. Für den Richter ergebe sich dadurch jedoch ein „stimmiges Bild”, das eine Szene skizziere, wie der 19-Jährige zunächst ein Messer neben sich hielt, dann vor dem Körper damit herumfuchtelte, ehe er über dem Kopf damit ausholte und zustechen wollte. Auch wenn der junge Mann nie einen Polizisten töten wollte, wie er in seinem letzten Wort sagte, so habe er nach Auffassung der Jugendkammer aber eben dies zumindest billigend in Kauf genommen. Daraus ergebe sich ein bedingter Vorsatz und die Verurteilung wegen versuchten Totschlags.

„Ich bin im normalen Zustand kein schlechter Mensch”, sagte der Angeklagte am vorletzten Verhandlungstag. Als sein Vater vor seinen Augen einen Suizidversuch begangen hatte, sei er „fertig” gewesen und habe immer mehr Drogen genommen.

Wie der Richter in der Urteilsbegründung erklärte, sei der heute 20-Jährige „von echter Einsicht und Reue weit entfernt”. Vielmehr suche dieser mögliche Gründe lieber in äußeren Umständen.

Ob der junge Augsburger das Urteil anfechten wird, das wolle er sich laut Verteidiger Werner Ruisinger innerhalb der nächsten sieben Tage überlegen. So lange läuft die Revisionsfrist. Ruisinger stellte klar, dass die Verteidigung nicht nachvollziehen könne, wieso er nun wegen versuchten Totschlags verurteilt wurde. Es sei nun eine schwierige Entscheidung, denn wenn sein Mandant Rechtsmittel einlegt, wird er weitere Monate in Untersuchungshaft bleiben, bis eine höhere Instanz das Verfahren überprüft hat. Sollte der 20-Jährige das Urteil akzeptieren, könnte er sofort mit der Therapie beginnen. Diese Möglichkeit ginge andernfalls womöglich verloren. „Von echter Einsicht und Reue weit entfernt”


Von Patrick Bruckner
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