Wenn Geiger von ihren Träumen erzählen, dann fällt unweigerlich der Name Stradivari. Antonio Stradivari. Der 1644 in Cremona am Po geborene Meister hat nicht nur einfach Streichinstrumente gebaut, er hat vielmehr Kunstwerke aus Holz geschaffen, für die heute Millionen bezahlt werden. Sofern sie überhaupt ein gut gesichertes Museum verlassen und noch dazu bespielbar sind. So gesehen war dieser Tage quasi ein voll bepackter Goldtransport in Aichach: das Goldmund Quartett. Die vier international gefeierten Musiker kamen für Videoaufnahmen in die Paarstadt. Mit im Gepäck: vier (!) Stradivaris - das sogenannte „Paganini-Quartett”. Im Grunde unbezahlbare Instrumente, in jedem Fall aber der heilige Gral für ein Streichquartett!Beim Treffen am San-Depot muss man sich angesichts der wertvollen Fracht schon zweimal die Augen reiben. Aus ganz normalen Autos steigen ganz normale junge Männer - mit ganz normalen Instrumentenkoffern. „Man gewöhnt sich daran, irgendwann wird es Alltagsroutine”, erzählt Raphael Paratore, während er die „Paganini-Ladenburg” auspackt. Paratore spielt das Violoncello beim Goldmund Quartett, ist 31 Jahre jung und seit kurzem Familienvater. Wie seine in etwa gleichaltrigen Freunde und Quartett-Kollegen hütet er sein Instrument zwar wie seinen Augapfel, Albträume hat er sich aber abgewöhnt. Weitgehend zumindest. Immer wieder passiert es Florian Schötz (1. Violine), Pinchas Adt (2. Violine), Christoph Vandory (Viola) und Raphael Paratore aber doch noch. Dann wachen sie schweißgebadet auf und glauben, ihre Stradivari ist ins Wasser gefallen und nach Jahrhunderten endgültig Geschichte. Natürlich sind die Instrumente hoch versichert, doch was hilft das schon, wenn der heilige Gral zerstört wäre?Antonio Stradivari gilt als der bedeutendste Geigenbauer der Geschichte. Er starb mit 93 Jahren. Ein stolzes Alter für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Der Legende nach suchte der Meister in klaren Vollmondnächten jene Fichten aus, aus denen er die Instrumente fertigte. Er schälte etwas Rinde ab, legte sein Ohr an den Stamm, klopfte mit einem Hammer gegen das Holz und lauschte. War er mit der Resonanz zufrieden, wurde der Baum gefällt.So weit, so gut. Viele Experten haben sich die Köpfe darüber zerbrochen, was denn nun den Zauber einer Stradivari ausmacht. Öle und Harze wurden untersucht, die Dichte des Holzes erörtert. Holzproben wurden genommen und wissenschaftlich untersucht. Man fand Mineralien mit Anteilen aus Aluminium, Kupfer und Zink - Spuren einer chemischen Behandlung vor 300 Jahren? Gelöst ist das Rätsel nicht. Und das ist gut so. Wenn man es genau wüsste, gäbe es kein Geheimnis mehr. Stradivaris berühmteste Violine trägt den Namen „Messias”. Lange Zeit hatte sie niemand zu Gesicht bekommen. Ihre Schönheit sei betörend, ihr Klang ein Bote des Himmels. Als würde man die Engel singen hören, heißt es.Raphael Paratore schmunzelt ob solcher Geschichten. Ja, Stradivaris seien sensationelle Instrumente mit einer eigenen Klangfarbe, sagt der Münchner. Gleichwohl seien sie nicht unbedingt einfach zu spielen. „Man muss sie beherrschen lernen”, weiß der 31-Jährige aus eigener Erfahrung. Ist dies irgendwann der Fall, stünden einem als Musiker alle Gestaltungsmöglichkeiten offen. Eine Stradivari beflügle das eigene Spiel, so Paratore.Dass es dauert, bis der Künstler das neue „Familienmitglied”, mit dem er täglich im Schnitt fünf Stunden spielt und übt, tatsächlich zum Sprechen, Singen, Tanzen, Fliegen bringen kann, bis er die Klangmagie der Stradivari entschlüsselt hat, liegt in der Natur der Sache. Von einer geradezu absurden Situation berichtet Paratore. Einerseits halte er ein Museumsstück in der Hand, ein Jahrhunderte altes Stück Geschichte. Andererseits geht es aber auch um ein Arbeitsgerät, mit dem er Menschen glücklich machen will und letztlich sein Geld verdient.Noch rund 500 Instrumente aus den Händen des Meisters gibt es angeblich, viele davon sind aber nicht mehr spielbar, befinden sich in Museen auf der ganzen Welt. „Messias” zum Beispiel gehört zur Sammlung des Ashmolean Museum in Oxford. Selten sind vor allen Dingen die großen Schwestern der Violine, die Violas und Violoncellos aus Cremona. Nur noch ganz wenige gibt es. Und sie sind teuer. Für 45 Millionen Dollar wurde etwa die Bratsche „Macdonald” gehandelt, für die „Lady Blunt” wanderten 16 Millionen Dollar über den Tisch. Welchen Wert die vier Stradivari-Instrumente des Goldmund Quartetts haben, darüber darf nicht gesprochen werden. Darüber kann nur spekuliert werden. Jedes einzelne dürfte es wohl auf mehrere Millionen Euro bringen. Da wird einem schon beim Fototermin ganz schwindelig.Auf der ganzen Welt gibt es nur mehr drei komplette Stradivari-Sets. Eines davon gehört dem spanischen Königshaus. Geht eines dieser Instrumente auf Reisen zu einem berühmten Solisten in eine Konzerthalle, bekommt es Begleitschutz. Zur Eskorte gehöre auch ein Hubschrauber, tut Raphael Paratore kund. Er und seine Freunde haben es da leichter. Zwar gibt es aus Versicherungsgründen gewisse Vorgaben, wie jedes Instrument behandelt werden muss. So darf es nur der jeweilige Musiker, dem es zugeteilt wurde, selbst tragen - aber natürlich auch spielen. Wertvolle Instrumente gehören auf die Bühne, nicht in einen Safe. Das Holz muss atmen und schwingen können. Davon sind auch besagte Rock-Gitarristen überzeugt. Vielleicht liegt darin das eigentliche Geheimnis einer Stradivari. Die Geigen werden täglich viele Stunden gespielt. Und dies im Falle der Paganini-Violine von Pinchas Adt seit über 300 Jahren. Seine „Desaint” wurde 1680 gebaut.Zum Glück gibt es Stiftungen wie die Nippon Music Foundation aus Japan. Sie hat das „Paganini-Quartett” 1994 erworben und stellt es seitdem renommierten Streichquartett-Ensembles zur Verfügung.Die vier Stradivaris stammen aus dem Besitz von Niccolò Paganini. Er war vermutlich der erste Superstar der Musikgeschichte: Der Geiger und Komponist wird bis heute als einer der größten Virtuosen aller Zeiten bewundert. „Teufelsgeiger” nannten ihn die Menschen, die vor 200 Jahren glaubten, er sei mit dem Satan im Bunde. Nach dem Tod des Hexenmeisters der Violine im Jahre 1840 gingen die vier Instrumente des „Paganini-Quartetts” durch verschiedene Hände. In mühevoller Suche gelang es schließlich einem Händler und Restaurator in New York, sie nach fast einem Jahrhundert wieder zu vereinen. Seitdem sind sie untrennbar miteinander verbunden.2019 bekam das Goldmund Quartett den Zuschlag für fünf Jahre. Die vier Musiker hatten sich auf gut Glück beworben, letztlich aber nicht mit der Leihgabe gerechnet. Als erstes deutsches Streichquartett überhaupt wurden ihnen die kostbaren Instrumente übergeben. Man mag erahnen, was damals passiert sein muss, als die Nachricht in München ankam...Florian Schötz, Pinchas Adt, Christoph Vandory und Raphael Paratore kennen sich seit ihrer Schulzeit. Schon am Gymnasium in München fassten sie den Entschluss, Musiker zu werden. Gefördert von einem Lehrer, entwickelten und vertieften die vier Buben ihre Liebe zur Klassik. Als Hermann Hesses Erzählung „Narziß und Goldmund” im Deutschunterricht zur Diskussion stand, war schon der Name Goldmund Quartett geboren. Nach dem Studium ihrer jeweiligen Instrumente, das sie unter anderem nach Spanien führte, begann schnell die Konzerttätigkeit der lebenslustigen Träumer mit großen klassischen und modernen Werken der Quartettliteratur. Bereits 2016 waren die vier Freunde Träger des Bayerischen Kunstförderpreises.Tourneen führen die Musiker regelmäßig nach New York, Boston und Montreal, aber auch bis nach Japan. Gerade sind die Vollprofis von einer Tour zurückgekehrt, auf der sie zunächst in Tokio und anschließend an 17 Schauplätzen in ganz Europa aufgetreten sind. Zwischen 60 und 70 Konzerte pro Jahr absolviert das Goldmund Quartett.Beste Kritiken bekamen auch die bisherigen CDs des Ensembles. Momentan wird an einer neuen gearbeitet. Am 26. Mai soll sie auf den Markt kommen. Gewidmet ist sie Franz Schubert. Zu hören sind nicht nur berühmte Werke des Komponisten wie „Der Tod und das Mädchen”, das Goldmund Quartett hat auch Streicher-Arrangements für berühmte Lieder Schuberts zusammengestellt. Für zwei davon hat es nun in Aichach Videos gedreht. Ja, auch die Klassik geht inzwischen durchaus moderne Wege, nutzt die digitale Medienwelt.Für „Ave Maria” drehte das Quartett am vergangenen Freitag in der Aichacher Stadtpfarrkirche, für Schuberts Vertonung der Goethe-Ballade „Der Erlkönig” wurde im San-Depot am Paartalpark gefilmt. Dort haben die Musiker vor ein paar Jahren schon einmal einen Videoclip erstellt. Den Kontakt in die Paarstadt stellte Landrat Dr. Klaus Metzger her, der das Quartett persönlich kennt.”Wir fühlen uns sehr wohl hier”, betonen Florian Schötz, Pinchas Adt, Christoph Vandory sowie Raphael Paratore und schwärmen von der Atmosphäre in der Kirche, aber auch in der nüchternen, am Freitag eiskalten Depot-Halle. Mitte April und Anfang Mai werden die Videos veröffentlicht und sollen den Markt für die neue CD bereiten.Immer mit dabei sind die vier Stradivaris. Bis Ende 2024 dürfen sie noch von den acht Händen des Goldmund Quartetts bespielt werden. Dann gehen die wertvollen Instrumente an andere Musiker irgendwo auf der Welt. „Das wird hart werden, sie zurückzugeben”, weiß Raphael Paratore schon jetzt.Man müsse letztlich aber dankbar sein, sie überhaupt für fünf Jahre besessen zu haben. Das Goldmund Quartett wird sich auf die Suche nach exzellentem Ersatz machen. Es gebe sehr wohl auch andere hervorragende Instrumente.Das Violoncello aus dem Hause des italienischen Meisters hat Paratores Karriere zweifellos beflügelt. Als kürzlich bei einem Konzert kurz vor dem Finale eine C-Saite riss, ist die Stradivari nicht verstummt. Das hätte die Stimmung im Publikum zerstört. Paratore hat kurzerhand an einige Stellen umgegriffen. Niemand hat etwas gemerkt. Eine Stradivari hat eben jahrhundertelange Erfahrung auf allen Bühnen der Welt - und sie gibt sie offensichtlich gerne weiter. Trotz des Altersunterschieds des „Paares auf Zeit” von 256 (!) Jahren. Oder vielleicht gerade deshalb. Weil das Instrument gespielt wird und nicht eingesperrt in einen Safe als stummer Zeitzeuge Rendite erbringen muss. Das ist vermutlich die eigentliche Magie der klingenden Historie.