Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 02.12.2021 18:20

Raus damit!

Pompfentraining in der Aichacher Lebenshilfe:   Das Bild entstand bereits vor einiger Zeit, als die Inzidenzen eine solche Veranstaltung noch möglich machten. 	Foto: Lebenshilfe/Anette Müller (Foto: Lebenshilfe/Anette Müller)
Pompfentraining in der Aichacher Lebenshilfe: Das Bild entstand bereits vor einiger Zeit, als die Inzidenzen eine solche Veranstaltung noch möglich machten. Foto: Lebenshilfe/Anette Müller (Foto: Lebenshilfe/Anette Müller)
Pompfentraining in der Aichacher Lebenshilfe: Das Bild entstand bereits vor einiger Zeit, als die Inzidenzen eine solche Veranstaltung noch möglich machten. Foto: Lebenshilfe/Anette Müller (Foto: Lebenshilfe/Anette Müller)
Pompfentraining in der Aichacher Lebenshilfe: Das Bild entstand bereits vor einiger Zeit, als die Inzidenzen eine solche Veranstaltung noch möglich machten. Foto: Lebenshilfe/Anette Müller (Foto: Lebenshilfe/Anette Müller)
Pompfentraining in der Aichacher Lebenshilfe: Das Bild entstand bereits vor einiger Zeit, als die Inzidenzen eine solche Veranstaltung noch möglich machten. Foto: Lebenshilfe/Anette Müller (Foto: Lebenshilfe/Anette Müller)

Kürschner, der viel Erfahrung in verschiedenen Kampfsportarten hat, ist ein klug argumentierender Mensch, der einer Auseinandersetzung lieber aus dem Weg geht. Gleichzeitig geht er davon aus, dass Kämpfe zum Leben gehören, vom Pausenhof angefangen, und dass auch Körperlichkeit in Auseinandersetzungen normal ist. Er unterscheidet dabei jedoch genau zwischen Kämpfen und Gewalt.

Wenn der Mensch rangelt oder rauft, ist das etwas anderes, als wenn er schlägt oder tritt. Und nach dem Raufen, wenn die Energie und die Aggression raus sind, könne man dann meist auch wieder miteinander reden. Eine Erfahrung, die Kürschner oft beobachtet hat.

Das geht aber nur, wenn bestimmte Regeln gelten. Kürschner geht es um die „gute Art” des Kämpfens. Er scheut sich nicht, Begriffe wie Ehre zu verwenden, spricht von Disziplin und klaren Grenzen. Er nennt das angeleitetes Kämpfen nach Regeln und auf positive Weise. Das bringt er Kindern beim Training mit Pompfen bei.

Aber was sind nun Pompfen? Das sind mit Schaumstoff umwickelte Plexiglasrohre, die aussehen wie ein langes Schwert. Bei dem Kurs in Aichach haben die Kinder sie mit ihren Eltern selbst gebaut. Dann hat Kürschner den Teilnehmern bestimmte Techniken beigebracht. Teils moderne Fechttechniken, teils historische.

Dann wurde gekämpft, und Jungs dürfen sich dann auch wie Ritter fühlen. Da „darf es schon etwas heftiger zugehen”, sagt Kürschner, weil „Jungs doch wild und gefährlich sein wollen.”

Aber eigentlich geht es dabei vor allem um Respekt, Regeln, Akzeptanz und Anerkennung. Es gibt bestimmte Tabuzonen, die nicht mit der Pompfe getroffen werden dürfen, etwa der Hinterkopf. Wer sich nicht daran hält, wird zuerst ermahnt, im Wiederholungsfall bekommt er eine Pause verordnet, als letzte Maßnahme steht die Disqualifikation. „Aber das kommt sehr selten vor.”, sagt Kürswchner.

Denn die Kinder, auch vermeintlich „schwierige”, machen bei dem Training konzentriert mit und halten sich an die Regeln. Ein Betreuer der Lebenshilfe erlebte Hortkinder dabei so diszipliniert und motivierbar wie sonst nie. „Er war sprachlos”, sagt Annette Müller, Leiterin der Offenen Hilfen bei der Lebenshilfe, über ihren Kollegen.

Auf Annette Müller geht die Zusammenarbeit mit Peter Kürschner und das Pompfentraining zurück. Sie habe in der Pandemie zunehmend beobachtet, wie die Kinder nicht wussten, wohin mit ihrer Energie, wie sie vollgestopft waren mit Medien, wie ihnen der Sport oder die gemeinsame Pause in der Schule abging - und all das dann zu der „unguten Art” des Kämpfens führt.

Ein eher zufälliges Gespräch mit Kürschner brachte Annette Müller auf die Idee, das Pompfen-Training auszuprobieren. Und die Resultate bestätigen sie.

Wobei Peter Kürschner bei all der Rede von Kampf, Konflikt und Körperlichkeit eines wichtig ist, um Missverständnisse zu vermeiden: „Ich möchte Kinder nicht dazu bringen, Konflikte körperlich zu lösen. Sie sollen lernen, die Dinge auszusprechen.” Aber er weiß eben auch: „Manche Kinder finden keine Worte für das Problem, das sie haben.”

Auch bei seinen Selbstverteidigungskursen für Erwachsene geht es weniger um die Durchsetzung in einem Kampf, sondern um dessen Vermeidung. Und: Nach den Kursen seien die Menschen selbstbewusster, gingen - im wörtlichen wie übertragenen Sinn - aufrechter und hätten mehr Resilienz, also geistige Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit.

Die Aichacher Stiftung „Bürger helfen Bürgern” unterstützt das Projekt „Fair kämpfen lernen” der Lebenshilfe und wird das weiter tun. Für Skeptiker hat Peter Kürschner noch eine Anekdote parat: Es gibt ein Mannschaftsspiel namens Jugger, das Elemente eines Ballspiels mit Pompfen-Kampftechniken verbindet. Als Kürschner einmal mit einer Gruppe Jugendlicher ein Jugger-Spiel vorbereitete, wurde der Nachbar, der das beobachtete, zum besorgten Bürger - der nach dem Spiel zu Kürschner kam und tief beeindruckt von der Disziplin und der Ruhe war, mit der das Spiel abgelaufen war.

Als Kürchner das erzählt, kann man ein Grinsen hinter seiner FFP-2-Maske erkennen. Es darf auch mal wild zugehen - trotzdem geht es eigentlich um die Vermeidung von Konfliktsituationen


Von Berndt Herrmann
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