Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 15.07.2022 17:10

Im Paradies stimmt irgendetwas nicht

„Case study”   ist ein zentrales Bild der Ausstellung „Im Glashaus”, die heute um 15 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße in Aichach eröffnet wird. 	Fotos: Berndt Herrmann (Fotos: Berndt Herrmann)
„Case study” ist ein zentrales Bild der Ausstellung „Im Glashaus”, die heute um 15 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße in Aichach eröffnet wird. Fotos: Berndt Herrmann (Fotos: Berndt Herrmann)
„Case study” ist ein zentrales Bild der Ausstellung „Im Glashaus”, die heute um 15 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße in Aichach eröffnet wird. Fotos: Berndt Herrmann (Fotos: Berndt Herrmann)
„Case study” ist ein zentrales Bild der Ausstellung „Im Glashaus”, die heute um 15 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße in Aichach eröffnet wird. Fotos: Berndt Herrmann (Fotos: Berndt Herrmann)
„Case study” ist ein zentrales Bild der Ausstellung „Im Glashaus”, die heute um 15 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße in Aichach eröffnet wird. Fotos: Berndt Herrmann (Fotos: Berndt Herrmann)

Dort lebt der Künstler mit seiner Frau, kuriert eine Corona-Infektion aus und kann deshalb nicht zum Pressetermin nach Aichach kommen, wo heute seine Ausstellung „Im Glashaus” eröffnet wird. Und irgendwie passt es so sogar. Das digitale Gespräch mit ihm über einen Bildschirm ist fast eine kommentierende Video-Installation zu den Bildern seiner Ausstellung „Im Glashaus”, die bis 21. August in Aichach zu sehen ist.

Denn in den Bildern geht es um die Aufhebung der Grenze zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum, die Ambivalenz eines Lebens, das sich zunehmend ausstellt, begutachtet und über Bildschirme vermittelt, das keine Schutzräume mehr kennt, weil auch die den voyeuristischen Blicken der digitalen Welt ausgesetzt sind. Jeder ist jedem immer nah. Aber gleichzeitig sind alle sich fern wie nie, es herrscht Kommunikationslosigkeit zwischen den Menschen. Ja, in diesen Paradiesen stimmt etwas nicht. Da steckt irgendetwas dahinter. Oder besser darunter. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn der (frühere Foto-) Realismus von Ghyczys Bildern ist nicht glatt, sondern voller Brüche, Reflexe und Lichtsplitter, die wie Verletzungen die Oberflächen durchschneiden. Es sind Reste abstrakter „Grundierungen”, die Ghyczy stückweise abklebt, bevor er das Bild malt; ist das Klebeband wieder entfernt, erscheinen die Fragmente dem Betrachter wie Schatten, die die Blätter eines Baums in einen Raum werfen - oder auch wie Schnitte auf einer glatten Oberfläche.

Die Arbeiten des 1970 im niedersächsischen Diepholz geborenen Künstlers entziehen sich dadurch einsträngigen Deutungen, sie sind polyvalent, Ausgangs- oder Durchgangspunkt vieler Geschichten. Denn sie alle haben eine narrative Grundstruktur, ohne dass sie die bloße Illustration einer Geschichte wären. Eine dieser narrativen Grundstrukturen ist eine soziologische. In jedem Bild gibt es große Fensterflächen, eine klare Trennung von innen und außen, die aber gleichzeitig transparent ist. Das Glas ist dabei ein metaphorisches Material: durchsichtig, zerbrechlich, aber gleichzeitig undurchlässig, so dicht wie nichts. Eine Grenze mit einem zweideutigen Charakter.

Mit der Serie „Im Glashaus” - alle Bilder sind in der Coronapandemie entstanden - thematisiert Ghyczy die schon seit langem diagnostizierte Aushebung der Trennung zwischen dem öffentlichen und privaten Raum, nicht zuletzt durch die Digitalisierung und die sozialen Medien. Man präsentiert sich, gibt Privatestes preis und wacht gleichzeitig hysterisch über die eigenen „Daten” sowie Bilder und die Rechte an ihnen.

In der Pandemie ist das noch verstärkt worden, weil auch die Arbeitswelt in die eigenen vier Wände eingedrungen ist und das Wohnzimmer oder die Küche zum Büro geworden sind, in dem die Kollegen oder Geschäftspartner per Zoom sitzen. Gleichzeitig ist das Zuhause noch mehr zum vermeintlich sicheren Schutz- und Rückzugsort geworden. Innen und außen sind ineinander verwoben.

Sind die Menschen in den Bildern wie Tiere im Zoo allen Blicken ausgesetzt? Schauen sie bei ihrem Blick aus dem Fenster nicht vielmehr als stille Beobachter zu? Sie sind geschützt und gleichzeitig ungeschützt? Zwischen den Menschen in den Bildern gibt es keine direkten Blickbeziehungen. Aber wie steht es mit uns, den Betrachtern? Auch das sind Fragen, die die - manchmal scheinbar einfachen, klaren - Arbeiten von Dénesh Ghyczy nur auf komplexe Weise beantworten. Wenn sie nicht eher sogar neue Fragen stellen.

Exemplarisch dafür ist das Gemälde „Casting”. In einem Raum voller Pflanzen, der fast wie ein Gewächshaus wirkt, sitzt eine Frau auf einem Sofa und schaut einen Mann an. Genauer: Sie mustert ihn. Er sitzt auf einem Barhocker, vielleicht ist es auch ein Podest für eine Vase. Oder irgendein anderes Objekt. Der Mann ist nackt bis auf die roten Turnschuhe, die er trägt, und er blickt wiederum zu dem Betrachter des Bildes. So wird die Szene, die intim oder das genaue Gegenteil davon ist, zu einer Dreierbeziehung und verweist über die reine Bildebene hinaus.

Aber das tun Ghyczys Bilder in einer so ganz eigenen, ästhetisch ebenso irritierenden wie bezwingenden Art und Weise, dass sie trotz ihres scharfen, analytischen Blicks auf die Gesellschaft der Gegenwart eine höchst stimmungsvolle Kunsterfahrung sind, an der der Betrachter gerne physisch teilhaben möchte. Ja, er möchte sich gerne in diese Räume setzen, schweigen und melancholisch (aneinander vorbei-) schauen. Denn wo anders als in der Kunst gibt es eine Ahnung des Paradieses - auch wenn dort irgendetwas nicht stimmt.

Die Ausstellung wird heute um 15 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße eröffnet. Zu sehen ist sie an Sams-, Sonn- und Feiertagen von 14 bis 18 Uhr sowie auf Anfrage. Am 12. und 13. August ist die Ausstellung nur für Besucher des Stereostrand-Festivals zugänglich.

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