Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 19.05.2022 17:23

Corona-Spaziergänger vor Gericht

Unstrittig war von Beginn an, dass sich der Mann in der Gruppe der sogenannten Spaziergänger befand. Allerdings habe er rund um den Tandlmarkt und den Stadtplatz lediglich Pokémon go gespielt. Dabei werden mit dem Handy an verschiedenen Stellen virtuelle Wesen eingefangen. „Nur weil mir dabei Menschen folgen, bin ich doch kein Versammlungsleiter”, erklärte dazu Rechtsanwalt Clemens Sandmeier am zweiten Verhandlungstag. Eine Auffassung die Richter Axel Hellriegel nicht teilte. „Die Eindrücke geben ein anderes Bild ab”, fasste er zusammen.

Zwei zuvor gehörte Zeuginnen, die nach ihren Beobachtungen als mögliche Teilnehmerinnen am „Spaziergang” befragt wurden, konnten an diesem Tag nichts zur Aufklärung beitragen. Sie seien immer wieder bei den Veranstaltungen dabei gewesen, ob sie aber genau am fraglichen Montag - es ging um den 3. Januar - mit von der Partie waren, konnten sie nicht bestätigen. Zugleich räumten beide ein, den Mann vom Sehen zu kennen, allerdings von seiner Arbeit in einem Supermarkt. „Es gibt keinen, der die Spaziergänge leitet,” berichtete eine Zeugin. Es gehe immer ein anderer voraus. Von einem „Haufen netter Leute” sprach die andere.

Am ersten Verhandlungstag hatten Polizeibeamte ihre Eindrücke geschildert. Unter anderem hatten sie erklärt, dass der Beschuldigte sich immer an der Spitze der Gruppe bewegt habe. Vom angeblichen Pokémon-Spiel ließ sich der Richter nicht beeindrucken, auch wenn es offenbar lautstarke Rufe wie „Da ist ein gutes Pokémon” gegeben hat. „Das ist eine Richtungsvorgabe”, erklärte der Richter im Gespräch mit dem Rechtsanwalt. Längst hätten höchste Gerichte festgestellt, dass man durch solche Rufe faktisch die Richtung der Demonstration vorgebe und die Rolle der Leitung übernehme. Mit einem dieser Rufe soll der Mann die Gruppe gezielt Richtung Polizeiwache gelotst haben. Er selbst stellte aber jegliche Absicht dieser Art in Abrede und legte unter anderem eine Liste mehrerer gefangener Pokémons vor.

Ob es zu einem Freispruch kommt, oder ob das Bußgeld bestehen bleibt, wird sich erst in einigen Wochen zeigen. Bis dahin werden an mehreren Tagen noch etliche Zeugen gehört. Das Phänomen zeige sich derzeit bei mehreren Verfahren mit ähnlichen Ordnungswidrigkeiten. Von den Betroffenen wird laut Richter Hellriegel häufig eine zweistellige Zahl an Zeugen geladen.

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