Die Lage scheint also mehr als dramatisch. Oder ist alles doch nicht so schlimm? Aichachs Gesundheitsamtsleiter Dr. Friedrich Pürner findet, vieles davon, was in den vergangenen Tagen und Wochen verbreitet wurde, sei Panikmache. Gleichzeitig betont er, dass er trotz seiner Kritik alle vorgegebenen Maßnahmen genau umsetzt. Was das Wittelsbacher Land angeht, sei die Entwicklung des Infektionsgeschehens aber momentan noch nicht besorgniserregend, auch wenn im Landkreis seit fast einer Woche die Warnstufe Rot gilt. Im Herbst, sagt der Epidemiologe, sei nichts anderes als ein Anstieg zu erwarten gewesen. „Das ist ganz normal und gilt auch für die Grippe, den Norovirus oder sogar Kopfläuse”, stellt der Facharzt nüchtern fest. Das mag in den Ohren einiger Bürger ketzerisch klingen - so als wäre der Behördenchef ein Corona-Verharmloser oder gar Leugner der Pandemie. Weit gefehlt. Pürner hält das neuartige Virus keineswegs für harmlos, Covid-19 könne schlimme Folgen haben, erklärt der Mediziner. Besonders Ältere und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen sollten sich vor einer Covid-Erkrankung schützen. Allgemein sei das Risiko schwer zu erkranken aber relativ gering. Pürner fordert deshalb einen maßvolleren Weg in der Corona-Politik. Und eine Abkehr vom Sieben-Tage-Inzidenzwert als verabsolutierter Kennziffer. Denn, so der 53-Jährige, bei der Ermittlung der Inzidenz werden nur positive Laborbefunde addiert, die Aussagekraft dieses Wertes sei gering. „Trotzdem leiten sich daraus einschneidende Maßnahmen ab, die uns alle betreffen.” Im Falle von Kindern hält er die eingeleiteten Schutzmaßnahmen, etwa das durchgängige Tragen von Masken im Unterricht auch am Platz, sogar für kontraproduktiv beziehungsweise für schädlich (wir berichteten). Wegen seiner öffentlichen Äußerungen zuletzt im Bayerischen Rundfunk sowie im Münchner Merkur musste sich der Behördenchef mehr als einmal gegenüber vorgesetzten Stellen rechtfertigen. Für kommenden Montag hat er eine Einladung ins Gesundheitsministerium erhalten. Trotz allem will er sich und seiner Kritik am Kurs der Corona-Politik der Staatsregierung treu bleiben. „Ich stelle mich vehement gegen jede Art von Panikmache”, sagt er und ergänzt, „auch wenn ich mit meinen Äußerungen womöglich meine Beamten-Karriere aufs Spiel setzte, aber ich stehe zu meiner fachlichen Meinung.” Er sehe es als seine Aufgabe als Amtsleiter, Arzt und Vater von drei Söhnen aufzuklären. Deshalb wolle er auch nicht irgendwelche Vorgaben der Staatsregierung, die er für falsch hält, „einfach nur nachplappern”. „Ich habe drei Buben. Wie soll ich denen beibringen, dass man zu seiner Meinung stehen muss, wenn ich es ihnen selber nicht vorlebe?” Dass er für seine Aussagen, vor allem auf Twitter, auch Zustimmung von Menschen erhält, die die Corona-Schutzmaßnahmen pauschal in Frage stellen, oder von politischen Parteien wie der AfD, nimmt er in Kauf: „Dass sich auch solche Leute melden, war mir klar.” Er wolle sich aber, betont Pürner, nicht von irgendeiner Partei oder Gruppierung vor den Karren spannen lassen. „Mir geht es darum, meine wissenschaftlich begründete Meinung zu äußern. Ich will Ängste nehmen, denn auch ein Impfstoff wird an der Situation so schnell nichts ändern, und das heißt, wir müssen mit dem Virus leben lernen.” Ein ausführliches Interview mit Dr. Friedrich Pürner lesen Sie im E-Paper der Aichacher Zeitung.