Man kann nur ahnen, was der kleine Junge damals durchmachen musste. Jetzt, vor Gericht, wo er mit 17 wieder einmal auf der Anklagebank sitzt, diesmal wegen mehrerer Diebstähle und vorsätzlicher Körperverletzung, wird es nur in einem Nebensatz erwähnt. Zum Glück wurde er befreit und konnte zu seinen Eltern zurückkehren. Doch er war nie mehr der gleiche Adil. Aus dem fröhlichen Kind war ein verschlossener Junge geworden. Als seine Mutter mit den Kindern 2015 nach Deutschland kam und Asyl beantragte, während der Vater zunächst noch in Syrien blieb, da übernahm Adil die Rolle des Familienoberhaupts, wie Jugendgerichtshelferin Conny Metz berichtete. Auch das habe seiner Entwicklung nicht gut getan. Vermutlich dachte er, er müsse stark sein, jedenfalls so tun, als wäre er es, und dazu gehört natürlich ein Stück Freiheit. Während er auf der einen Seite mit dem neuen Leben in Deutschland nicht klar kam, zum Beispiel in der Schule, geriet er auf der anderen an die falschen Freunde. Adil wurde kriminell. Erste Diebstähle blieben, wie es im Jugendstrafrecht vorgesehen ist, ohne Ahndung. „Von Verfolgung abgesehen”, heißt das, wenn der Richter den jugendlichen Delinquenten ein wenig ins Gewissen redet. Bei Adil redeten sie gegen die Wand. „Wir hatten halt kein Geld”, erklärt er, warum er und seine neuen „Freunde” zum Klauen gingen. Cola, Whisky, Wodka. Man wollte schließlich „Party machen”. Ein Marktmitarbeiter, der ihn auf frischer Tat ertappte, bekam die Faust ins Gesicht, so dass er über das Mobiliar fiel, eine andere Angestellte trug Prellungen am Arm davon, als sie ihn festhalten wollte. „Er hat eine posttraumatische Belastungsstörung”, erklärt eine Psychologin, warum Adil immer mehr trank und auch noch Drogen nahm. „Ich weiß nicht, was mein Kopf will”, erklärt es der Junge. An diesem Morgen kürzlich im Amtsgericht Aichach teilt er sich die Anklagebank mit einem zwei Jahre älteren Deutschen. Mit ihm und anderen hat er an Silvester Feuerwerk gestohlen, im Wert von fast 300 Euro. Auch Daniel (Name geändert) stand schon öfter vor dem Kadi. Seine Lebensgeschichte liest sich wie eine lange Auflistung von Problemen. Probleme im Kindergarten, in der Schule, im Elternhaus, in heilpädagogischen Einrichtungen. Daniel eckt überall an. Er sei verstockt und aggressiv, spreche wenig, heißt es im Bericht der Jugendgerichtshilfe. Drogen bestimmten seinen Alltag. Hinten im Gerichtssaal sitzen seine Eltern, die verzweifelt wirken. Ihrem Sohn wurde zuletzt eine autistische Störung attestiert. Hopfen und Malz verloren bei den beiden Angeklagten? Richterin Eva-Maria Grosse hat noch Hoffnung. Sie hat ein Gespräch geführt mit Daniel. Und irgendwie drang sie zu ihm durch. Alle Experten rieten ihm einhellig zu einem einwöchigen stationären Entzug. Und anschließend mindestens vier Wochen Therapie in der Klinik. Er meint, er schaffe das allein. Vorschreiben lassen will er sich nichts. „Manchen muss man zu ihrem Glück einen Schubs geben”, sagt die Richterin. In ihrem Urteil ordnet sie an, dass Daniel in Therapie muss. Geht er nicht, landet er stattdessen im Gefängnis. Bei Adil hingegen scheint eine geradezu wundersame Wendung eingetreten zu sein. Zwar wurde diese schon bei Verhandlungen 2018 und 2019 beschrieben, doch nun sei es wirklich so, beteuert sein Erziehungshelfer. Seit Mai nehme er keine Drogen mehr. Er lebe wieder bei seinen Eltern. Er habe eingesehen, was er diesen mit seinem Verhalten angetan habe. Er habe zur Religion zurückgefunden und fürchte, dass Gott beobachte, was er so treibe. Selbstständig habe er sich um ein Praktikum bei einem Friseur gekümmert. Der Vater akzeptiere inzwischen, nachdem die Mutter mit Scheidung gedroht habe, dass sein Ältester auch einen nichtakademischen Berufsweg beschreiten könnte. Adil entschuldigt sich am Ende nicht nur bei den Supermarktmitarbeitern, die er verletzt hatte. Er bittet auch seine Eltern um Verzeihung. Und das ist der Moment, wo man wirklich hofft, dass das Schöffengericht, das seine 16-monatige Strafe noch einmal zur Bewährung aussetzt, Recht behalten möge und Adil nun auf einem guten Weg ist.