Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 16.05.2019 12:00

Geklaute Abschlussprüfung

Die Geschichte begann im September 2017: Über die Online-Partnervermittlungsagentur Parship lernten sich der Angeklagte und Melanie Kraus - so nannte sie sich auf der Plattform - kennen. Sie gab zunächst an, als Bankkauffrau zu arbeiten, später will sie Staatsanwältin gewesen sein. Sie hat drei Kinder (17, 13 und sieben Jahre), er zwei (14 und 11 Jahre). Bald war sie vom Angeklagten schwanger und sie wollten heiraten. Ihr Sohn stand vor den Abschlussprüfungen und war ein schlechter Schüler. Ob er - der Konrektor und Lehrer - ihr nicht die Prüfungen für den Sohn vorab besorgen könnte, habe seine Freundin um die Weihnachtszeit herum gefragt, erzählte der 44-Jährige dem Richter. Das sei „völlig abwegig”, habe er damals gesagt. Doch einige Monate später entschied er sich um und beschloss, die Unterlagen aus dem Tresor zu nehmen. „Ich wollte die Beziehung nach zwei gescheiterten Ehen auf keinen Fall gefährden und nichts riskieren”, versuchte er seine Beweggründe zu erläutern.

Im Juni 2018 - zwei Tage vor der Abschlussprüfung - ging der 44-Jährige also nachmittags an den Tresor, zu dem neben ihm zwei weitere Kollegen Zugang hatten, und fotografierte die für ganz Bayern geltenden Prüfungsaufgaben in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik und Rechnungswesen ab. Danach druckte er die Dokumente aus und überreichte sie seiner Partnerin, die sie wiederum an ihren Sohn weitergab. Dieser lernte die Lösungen auswendig und legte eine weit über seinen sonstigen Leistungen liegende Prüfung ab. Der 44-Jährige tarnte seine Tat, indem er neue Umschläge beschaffte, die den originalen ähnlich sahen. Dennoch flog die Sache auf. Die fehlenden Siegel fielen dem Schulleiter am Tag der ersten Prüfung auf. Er ließ sie dennoch durchführen, informierte dann das Ministerium. Bald fiel der Verdacht auf den Konrektor. Seine Welt brach Anfang Juli zusammen als die Kriminalpolizei an der Schule auftauchte, ihn mit den Vorwürfen konfrontierte und später sein Haus durchsuchte. Erst leugnete er alles. Er kenne den Namen der Frau nicht, dessen Sohn vorab Prüfungsunterlagen von ihm erhalten haben soll, erklärte er den Polizisten damals. Letztlich erfuhr der Angeklagte, dass er den richtigen Namen der Frau, mit der er verlobt ist, tatsächlich nicht kannte. Sie war auch keine Staatsanwältin, sondern Hausfrau. „Es stimmte nichts, ich wusste nichts”, sagte der 44-Jährige gestern mit brüchiger Stimme.

Die Hochzeit wurde abgesagt. Inzwischen wohnen die beiden zusammen mit dem acht Monate alten Baby, seinem Sohn und ihren drei Kindern. „Warum haben sie die Beziehung nicht beendet nach all den Enttäuschungen”, fragte Hell. Der Verteidiger des Angeklagten antwortete: „Dazu will mein Mandant keine Angaben machen.” Ein weiteres Verfahren wegen Veruntreuung steht ihm bald ins Haus, erwähnte Walter Hell am Rande.

Seine Freundin saß wegen Anstiftung zu Siegelbeschädigung und Verletzung des Dienstgeheimnnisses neben ihm auf der Anklagebank. Sie würdigten sich keines Blickes während der zweistündigen Verhandlung und wechselten kein Wort miteinander. Sie machte von Anfang an von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, er gestand alles und belastete sie mit einigen Aussagen.

Bei der Urteilsverkündung sagte Richter Walter Hell: „Liebe macht blind.” Das Geständnis rechnete der Amtsgerichtsdirektor dem Lehrer an, die Reue und Einsicht nahm er dem dreifachen Vater ab. „Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Beziehung nach dem heutigen Tag - dem umfassenden Geständnis und der Geschichte, wie alles kam - bestehen wird”, fügte Hell an. Er hoffe aber, dass dem 44-Jährigen ein Neuanfang gelinge. Gegen die Lebensgefährtin verhängte er eine 2400 Euro hohe Geldstrafe. Außerdem gab es ihr mit auf den Weg, dass „jeder halbwegs begabte Schüler ein paar Fehler in die Prüfung eingebaut hätte”. Mütterliche Fürsorge sprach ihr der Richter ebenfalls ab: „Sie haben ihren Sohn zum verlängerten Arm einer Straftat gemacht.” 44-Jähriger arbeitet jetzt an der Kasse und als Nachhilfelehrer


Von Robert Edler
north