Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 18.11.2014 12:00

Das Leben der Anderen

Calistus, Taofeeq, Junaid, Aboubacari   und die anderen Asylbewerber, die in Anwalting leben, fühlen sich gut aufgenommen und wissen die Arbeit des Asylkreises, aus dem sie am gestrigen (von links) Margit Strobl und Petra Bachmeir sowie Christl Schmidmeir auf einen Kaffee mit selbst gebackenem Kuchen besuchten, zu schätzen.	Foto: Monika Grunert Glas (Foto: Monika Grunert Glas)
Calistus, Taofeeq, Junaid, Aboubacari und die anderen Asylbewerber, die in Anwalting leben, fühlen sich gut aufgenommen und wissen die Arbeit des Asylkreises, aus dem sie am gestrigen (von links) Margit Strobl und Petra Bachmeir sowie Christl Schmidmeir auf einen Kaffee mit selbst gebackenem Kuchen besuchten, zu schätzen. Foto: Monika Grunert Glas (Foto: Monika Grunert Glas)
Calistus, Taofeeq, Junaid, Aboubacari und die anderen Asylbewerber, die in Anwalting leben, fühlen sich gut aufgenommen und wissen die Arbeit des Asylkreises, aus dem sie am gestrigen (von links) Margit Strobl und Petra Bachmeir sowie Christl Schmidmeir auf einen Kaffee mit selbst gebackenem Kuchen besuchten, zu schätzen. Foto: Monika Grunert Glas (Foto: Monika Grunert Glas)
Calistus, Taofeeq, Junaid, Aboubacari und die anderen Asylbewerber, die in Anwalting leben, fühlen sich gut aufgenommen und wissen die Arbeit des Asylkreises, aus dem sie am gestrigen (von links) Margit Strobl und Petra Bachmeir sowie Christl Schmidmeir auf einen Kaffee mit selbst gebackenem Kuchen besuchten, zu schätzen. Foto: Monika Grunert Glas (Foto: Monika Grunert Glas)
Calistus, Taofeeq, Junaid, Aboubacari und die anderen Asylbewerber, die in Anwalting leben, fühlen sich gut aufgenommen und wissen die Arbeit des Asylkreises, aus dem sie am gestrigen (von links) Margit Strobl und Petra Bachmeir sowie Christl Schmidmeir auf einen Kaffee mit selbst gebackenem Kuchen besuchten, zu schätzen. Foto: Monika Grunert Glas (Foto: Monika Grunert Glas)

Als es hieß, es kämen Asylbewerber nach Anwalting, weil ein Privatmann ein renoviertes Haus zur Verfügung stellt, da lief es in Anwalting nicht anders als in den meisten kleinen Gemeinden, die vor der Herausforderung standen, plötzlich eine erkleckliche Zahl Fremder aufzunehmen. Natürlich gab es Bedenken und Vorurteile, geäußert wurden sie meist hinter vorgehaltener Hand. Aber es gab auch Menschen, die sich der Herausforderung stellten und unter der Regie von Pfarrer Max Bauer einen Asylkreis gründeten. Dieser wurde für seine beispielhafte Arbeit nun mit dem schwäbischen Integrationspreis ausgezeichnet (wir berichteten).

Wenn ein Asylbewerber neun Monate im Land ist, darf er sich um Arbeit bewerben. Zehn der 17 Männer, die an der Schmiedgasse in Anwalting leben, haben es geschafft, einen Job zu ergattern. Nicht gerade die besten Beschäftigungen der Welt, doch immerhin, die meisten sind froh, überhaupt eine Tätigkeit ausüben zu können, nachdem sie monatelang zum Nichtstun verurteilt waren.

Das Haus in Anwalting ist alles andere als heruntergekommen oder auch nur zweitklassig. Das helle, freundliche Gebäude ist richtig hübsch, von außen wie von innen. Freundlich und blitzsauber sind die Zimmer, auch noch nach einem Jahr. An der Wand im Gemeinschaftsraum hängt ein Putzplan.

An diesem Sonntagnachmittag setzen sich Petra Bachmeir und Margit Strobl sowie Christa und Gerhard Schmidmeir mit einem guten halben Dutzend Männer zum Kaffeeklatsch zusammen. Es ist eine gute Zeit, zum Kuchen zu bitten, denn jetzt sind die meisten im Haus. Einfach so, unter der Woche, zum normalen Feierabend, würde man nicht so vielen Asylbewerbern begegnen. Denn wenn die meisten Deutschen Richtung Couch surfen, beginnt für sie erst die Schicht. Nach neun Monaten dürfen sie arbeiten - wenn ihr Chef nachweist, dass er keinen deutschen Bewerber für die Stelle hat. Und so brutzelt der eine im Schnellrestaurant morgens um vier Uhr Burger, der andere schuftet statt 40 meist 60 Stunden in einem Döner-Betrieb. Zur Arbeit nach Gersthofen, Augsburg, Derching kommen sie per Rad. Egal, ob es draußen neblig ist, regnet oder im baldigen Winter frieren wird. Einen relativ kurzen Weg zur Arbeit, wie Abraham, der als Gerüstbauer in Rehling tätig ist, hat sonst fast keiner. Fleißig seien sie, heißt es allgemein, sich für nichts zu schade.

Junaid stammt aus Pakistan. 20 Euro im Monat habe ihm dort sein Chef gezahlt, berichtet er in raschem Englisch. Zu wenig, um seine Frau und seine kleine Tochter ernähren zu können. Mafiöse Strukturen seien in seinem Land am Werk, er hatte Angst um sein Leben. „Romantic Man” nennen ihn seine Mitbewohner in Anwalting. Weil er irgendwie immer gute Laune hat: „Good weather, good for romantic”, strahlt er Petra Bachmeir an, und sie berichtet augenzwinkernd, er hätte schon so einen gewissen Charme. Warum er ausgerechnet nach Deutschland kam? Junaid berichtet von einer abenteuerlichen Odyssee. Zu Fuß machte er sich auf den Weg, schon vor Jahren. Von Pakistan aus ging er in den Iran, dann in die Türkei, weiter nach Griechenland und Mazedonien, dann wieder zurück nach Griechenland. Dort arbeitete er einige Monate. Weiter wanderte er nach Serbien, Kroatien, Österreich, Italien, Frankreich und schließlich landete er in Deutschland. „Mein Onkel lebte hier in den 70er Jahren, er hat mir empfohlen, hierher zu gehen. Er ist mit einer Deutschen verheiratet.”

Bevor es überhaupt zur Kaffeerunde kommt, wenden sich mehrere Männer an Petra Bachmeir, übergeben amtlich wirkende Schreiben. Mahnbescheide, wie sich herausstellt. Die Asylbewerber sind leichte Beute für Geschäftemacher. Einige haben leichtsinnig Handyverträge unterschrieben und hängen nun mit Raten drin, die sie nicht bezahlen können.

Taofeeq stammt aus Nigeria. Frau und Sohn hat er zurück gelassen, der Kleine wird diesen Monat vier Jahre alt. Nach der jahrelangen Militärdiktatur sollte eigentlich ein Demokratisierungsprozess in Nigeria laufen. Doch tatsächlich herrscht in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas bittere Armut. Viele verschiedene Kulturen müssen miteinander auskommen. Über 500 Sprachen werden gesprochen. Ethische Konflikte werden mit Gewalt ausgetragen, Menschenrechte vielerorts mit Füßen getreten. Kriminelle Banden entführen Kinder. Die Polizei foltert und oft wird ohne großen Prozess die Todesstrafe vollstreckt, auch an Jugendlichen. „Ich war mir meines Lebens nicht sicher”, sagt der 32-jährige Taofeeq. Wann immer es geht, spricht er Deutsch. Sein größter Wunsch wäre es, dass er auch Frau und Kind in Sicherheit bringen könnte. Er ist Mechatroniker und überglücklich, in Mühlhausen einen Job gefunden zu haben. „Als einer der wenigen hatte er ein Zertifikat über seine Ausbildung dabei”, berichtet Petra Bachmeir.

Aboubacari stammt aus Mali. Das westafrikanische Land wird gebeutelt von Kämpfen zwischen den Touraeg und Islamisten. 2012 gab es einen Militärputsch. Zwischen 1950 und 2014 hat sich die Bevölkerung vervierfacht. Jede Frau bekommt im Durchschnitt sechs Kinder. Das Land steuert auf eine Katastrophe zu, denn so viele Menschen kann es nicht ernähren. 1950 lag die Lebenserwartung bei knapp 30, inzwischen bei gut 52 Jahren.

Aboubacari ist 30 Jahre alt und gelernter Metzger. Auch er ist in der glücklichen Lage, in seinem Beruf arbeiten zu können. Er stellt beispielsweise Leberkäse für einen renommierten Betrieb her. Selbst isst er natürlich kein Schweinefleisch. Doch damit umgehen? Kein Problem, sagt er, das ist Arbeit. Auch er ließ seine Familie zurück, er hat einen fünfjährigen Sohn.

„Sehr nett” seien sie in Anwalting aufgenommen worden, berichtet Aboubacari, die anderen nicken zustimmend. Scheele Blicke, feindselige Stimmung in dem katholischen Dorf? Nein, sie schütteln den Kopf, sie fühlen sich nicht unwillkommen. Doch Heimweh haben sie alle. Ab und an ein Telefonat, so halten sie Kontakt. „Nirgends ist es wie daheim”, sagt der Malier. Wenn in seinem Land Ruhe eingekehrt ist, möchte er zurück.

Die Zimmer werden in den Asylbewerberunterkünften nach Nationen belegt. Auch, damit es weniger zu Konflikten kommt. Dass sich die Männer in Anwalting nicht verstehen würden, kann man sich gar nicht vorstellen. Alle sitzen nett beieinander, respektieren sich, meistens kommunizieren sie auf Englisch. Es wird gescherzt und gelacht, etwa, als Gerhard Schmidmeir, selbst Friseur, berichtet, dass er in Calistus aus Nigeria einen Kollegen gefunden hat. Dieser schneidet seinen Mitbewohnern, die übrigens alle schick und sauber gekleidet sind, die Haare. „Gelernt habe ich Schuhmacher”, erzählt der 36-Jährige. Er ist nun neun Monate da und würde sich über einen Job sehr freuen. Denn der würde seinen Tagen einen Sinn geben. Im Moment sind diese strukturiert durch den Deutschunterricht, den Mitglieder des Asylkreises von Montag bis Donnerstag zwischen 17 und 19 Uhr anbieten. Er findet im Mühlhausener Pfarrheim statt, und auch dorthin radeln die Asylbewerber. Ohne Deutschkenntnisse, das haben sie verstanden, werden sie keinen Fuß fassen.

Die meisten der über 20 Menschen, die sich im Asylkreis engagieren, kannten sich vorher nicht oder „nur vom Sehen”. So haben die Asylbewerber auch ihnen etwas gegeben. Neue Freundschaften, ein sinnvolles Ehrenamt. „Wir leben seit 37 Jahren hier”, berichtet Gerhard Schmidmeir. Freilich schloss er als „Zugroaster” Bekanntschaften, auch über die Kinder. Doch das verlor sich ein wenig mit den Jahren. „Jetzt haben wir ganz neue Kontakte im Dorf”, freut er sich. Sehnsucht nach der Familie und Heimweh haben sie alle


Von Monika Grunert Glas
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