Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 23.11.2022 10:36

Tiefenbohrungen in der Geschichte

<b>Ausgrabung einer frühmittelalterlichen Mühle</b> &quot;Am Bahngraben&quot; in Aichach hinten von links): Archäologin Kristina Seitz, Wolfgang Brandner sowie Dr. Hubert und Gabriele Raab.  (Foto: Michael Schmidberger)
Ausgrabung einer frühmittelalterlichen Mühle "Am Bahngraben" in Aichach hinten von links): Archäologin Kristina Seitz, Wolfgang Brandner sowie Dr. Hubert und Gabriele Raab. (Foto: Michael Schmidberger)
Ausgrabung einer frühmittelalterlichen Mühle "Am Bahngraben" in Aichach hinten von links): Archäologin Kristina Seitz, Wolfgang Brandner sowie Dr. Hubert und Gabriele Raab. (Foto: Michael Schmidberger)
Ausgrabung einer frühmittelalterlichen Mühle "Am Bahngraben" in Aichach hinten von links): Archäologin Kristina Seitz, Wolfgang Brandner sowie Dr. Hubert und Gabriele Raab. (Foto: Michael Schmidberger)
Ausgrabung einer frühmittelalterlichen Mühle "Am Bahngraben" in Aichach hinten von links): Archäologin Kristina Seitz, Wolfgang Brandner sowie Dr. Hubert und Gabriele Raab. (Foto: Michael Schmidberger)

Vor einem Jahr stand Kristina Markgraf in einer Baugrube "Am Bahngraben" in Aichach und war sich sicher, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen an etwas besonderem arbeiteten. Am Montag war die Archäologin wieder in Aichach, heißt nun Seitz und weiß, dass die Grabungen ihre Vermutung bestätigt haben: Am Bahngraben war eine frühmittelalterliche Mühle, deren Bedeutung nur mit einer anderen in ganz Süddeutschland zu vergleichen ist, derjenigen, die 1993 bei Dasing entdeckt wurde.

Die Ergebnisse ihrer Forschungen präsentieren Kristina Seitz und ihre Kollegin Julia Weidemüller in dem Aufsatz "Eine frühmittelalterliche Wassermühle an der Paar in Aichach", der im 22. Band der Reihe "Altbayern in Schwaben" nachzulesen ist. Am Dienstagabend wurde das Buch im Landratsamt vorgestellt. In etwas kleinerem Rahmen als vor Corona, aber zumindest konnten die Autorinnen und Autoren sowie das Redaktions- und Produktionsteam wieder dabei sein.

Ulrike Schmid, Georg Großhauser, Wolfgang Brandner, Dr. Hubert Raab und Michael Schmidberger haben zehn Beiträge ausgewählt und betreut, die erneut ein breites thematisches wie methodisches Spektrum abdecken. Neben historischen und zeitgeschichtlichen Beiträgen untersuchen die Aufsätze Themen aus der Wirtschafts- und Sozial-, der Technik-, Natur- und Kunstgeschichte, es gibt zudem biographische und geologische Studien.

Dabei bilden die Paar und die Wasserwirtschaft eine Art thematische Klammer, zumindest bei vier der zehn Aufsätze. So untersucht der Ingenieur Heinz Schmidt die Trockentäler der Ur-Paar bei Kissing und Ottmaring geht dabei um hunderttausende Jahre zurück, spürt aber gleichzeitig den heute noch zu entdeckenden Spuren der urzeitlichen Flussdynamik nach.

Lange Zeit später entstanden dann an der Paar und vielen ihrer Arme Mühlen, ehedem waren es um die 50 im Bereich des Bezirksamts Aichach. Die Mühle "Am Bahngraben" lässt sich durch die Untersuchung von Holzproben auf das späte 8. Jahrhundert datieren, einige andere Teile auf das 9. Jahrhundert - die gefundenen Mühlschaufeln zum Beispiel sind aus den Jahren um 864 und 871.

Von dieser Zeit sind nur wenige Jahrhunderte, bis der Vorläufer der "Aktiengesellschaft Kunstmühle Aichach", die Untermühle, erstmals in den Quellen fassbar wird. Ihre Geschichte hat Georg Johann Felber erforscht. Er konnte sich dabei auf das Archiv der "AKK" stützen und hat neben einem Stück Orts- und Wirtschaftsgeschichte auch eine Geschichte der Mühlentechnik beschrieben. In Zeiten eines Krieges und dem Einsatz von Getreide als Waffe bekommt der letzte Satz seines Aufsatz eine besondere Bedeutung: "In diesem Jahr, 2022, kann die Aktiengesellschaft Kunstmühle Aichach auf eine erfolgreiche 140-jährige Firmengeschichte zurückblicken. Darüber hinaus versorgt die Mühle seit über 700 Jahren die Bevölkerung mit Mehl.

Einer anderen Geschichte am und mit dem Wasser widmet sich der Friedberger Heimatforscher Ingo Aigner, der in diesem Sommer verstorben ist. In seinem Aufsatz erkundet er die Geschichte des Friedberger Wasserwerks und erzählt dabei Stadtgeschichte sozusagen entlang der Wasserwirtschaft. Relikte davon sind noch heute in Friedberg zu sehen, etwa das alte Wasserhaus und der alte Wasserturm.

Einen ganz anderen Charakter hat der volkskundliche Beitrag von Anton Mayr. In "Heiraten und Übergaben in früherer Zeit" bringt er die Statistik zum Sprechen und kann nachweisen, dass einige landläufige Ansichten sich nicht mit den Zahlen decken. Er hat über 250 Jahre die Heiratsgewohnheiten und Hofübergaben in einigen Orten in den Bereichen des Bezirksamts Aichach und des Landgerichts Dachau untersucht und kommt dabei, unter anderem, zu überraschenden Ergebnis, dass Höfe keineswegs in der Regel an den ältesten Sohn übergeben wurden, wie man gemeinhin meint.

Den Band eröffnet ein zeitgeschichtlicher Beitrag, über dessen Thema in diesem Jahr wieder gesprochen und - immer noch - zum Teil heftig diskutiert wurde: die Gebietsreform vor 50 Jahren und die Entstehung des "Bindestrich-Landkreises" Aichach-Friedberg. Die Historikerin - und seit diesem Jahr auch Kreisarchivpflegerin - Gabriele Victoria Schaffner zeichnet die Geschichte der schwierigen Landkreis-Ehe auf Basis der Quellen nach und präsentiert einen bemerkenswerten Archivfund: Entwürfe für die Erweiterung des Landratsamtes am Friedberger Marienplatz aus dem Jahr 1971, also ein Jahr vor der Gebietsreform. Eine schöne Pointe in dem Jahr, in dem nach jahrelangen Diskussionen die Arbeiten an der Erweiterung des Landratsamtes in Aichach endlich begonnen haben.

Die weiteren Aufsätze beschäftigen sich mit "Leibeigenschaft im Landgericht Aichach in der Frühen Neuzeit" (Dr. Stefan Schleipfer), dem Inchenhofener Kunstschreiner und Bürgermeister Friedrich Schwerdtfiehrer (Rainer Roos), mit den "Libellen im Ecknachtal" (Fred Holly) und Gabriele und Dr. Hubert Raab haben den dritten Teil ihrer Geschichte der Glasfenster im Landkreis Aichach-Friedberg verfasst. In ihm geht es um "Glasfenster des Historismus im Landkreis Aichach-Friedberg. Die Werkstätten Mittermaier in Lauingen und Eichleiter & Lipp in Göggingen".

In den 22 seit 2001 erschienenen Bänden von "Altbayern in Schwaben" sind auf 4300 Seiten 201 Aufsätze von 70 Autorinnen und Autoren erschienen, wie Landrat Dr. Klaus Metzger vorrechnete. Für ihn scheint der "Fundus an spannenden Geschichten und interessanten Themen" aber immer noch grenzenlos. Was heißt, dass auch für den 23. Band die Stoffe sicher nicht ausgehen werden.

Altbayern in Schwaben 2022. 234 Seiten, 15,90 Euro.

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