Brigitta Liepert ist eine lebenslustige Frau. Sie ist gern unter Leuten – und dann für jede Gaudi zu haben. Kurzum: Die Aichacherin steht mit beiden Beinen im Jetzt. Aber mindestens genauso wohl fühlt sie sich in der Vergangenheit. Am liebsten im 15. und 16. Jahrhundert, der Zeit der Renaissance, als das Mittelalter ausklang, die Künste nach antikem Vorbild wieder erblühten und den Gelehrten bedeutende Entdeckungen gelangen.
Leonardo da Vinci, Galileo Galilei, Raffael, Michelangelo und Albrecht Dürer lebten in dieser Zeit des Aufbruchs. Dieser Umschwung zeigte sich auch in der Mode: Dominierte im Mittelalter die einfache, an Arbeit und Alltag orientierte Kleidung, trugen die Damen nun engere, figurbetonte Kleider. Die Männer schlüpften in kurze Jacken mit Stehkragen und lange Mantelröcke. Es durfte gerne bunt sein. Denn die Garderobe putzte Einzigartigkeit und Charakter heraus.
Die Renaissance belegt in Brigitta Lieperts schmuckem Reihenhaus das halbe Obergeschoss. An die 20 schwere Gewänder hängen an den Kleiderstangen, dazu passende Hüte, Barretts und Hauben. Allesamt hat die 66-Jährige selbst genäht. „Nein”, sagt sie, „ich bin keine Schneiderin, ich hab' mir alles erst beibringen müssen.” Dabei half ihr die Begeisterung für eine Zeit, in der sich die Eleganz Bahn brach: „Die Renaissance-Gewänder haben klare Linien. Sie brauchen keine Schleifen und kommen ganz ohne Schnickschnack aus. Sie sind aber trotzdem aufwändig zu machen”, erzählt sie. An die 100 Stunden sitzt sie an einem Modell, manchmal auch mehr. Für eines ihrer Exemplare fädelte sie 3000 kleine Perlen auf und nähte sie an, Handstich für Handstich.
Solch modische Unikate wollen natürlich gezeigt sein. Auf historischen Festen zum Beispiel. Brigitta Liepert ist dort Stammgast. Allein heuer war sie auf gut einem Dutzend, reiste nach Worms, Wiesbaden und Überwesel, nach Neuburg, Sandizell, Mindelheim und Burghausen. Natürlich ist sie auch bei den Mittelalterlichen Markttagen in Aichach mit von der Partie, dann in einem schlichten blauen Kleid, passend zum Thema des Spectaculums.
Warum sie so viel Zeit in die vergangene Zeit steckt? „Weil ich da in ein anderes Leben schlüpfen kann”, meint sie. Man bewege sich anders in dieser Kleidung, stolzer, aufrechter. Man stelle etwas Besonderes dar und wird dafür auch beachtet. „Die Leute kommen mit Dir ins Gespräch, sie machen Fotos und jede Menge Selfies”, erzählt die 66-Jährige. Sehr höflich seien dabei die Japaner, die fragten immer nach, ob sie fotografieren dürften. Die Chinesen seien rücksichtsloser: „Come, picture” forderten sie barsch und zerrten einen einfach vor die Kamera...
Brigitta Liepert macht gerne mit bei diesem historischen Catwalk. Sie genießt die Aufmerksamkeit. „Wir gehen durch die Leute und sind uns bewusst: Mir san bloß mehr schee”, erzählt die ehemalige Landratsamt-Mitarbeiterin. Vor zwei Jahren ging sie in den Ruhestand, jetzt hat sie noch mehr Zeit für ihre Ausflüge in die Vergangenheit.
Inzwischen ist sie für viele Epochen eingekleidet: Sie tritt in Wikinger-Gewand ebenso auf wie in der Kleidung der spätmittelalterlichen Burgunder-Zeit. Mehrere ihrer „Outfits” spielen in der Landsknecht-Szene des 15. und 16. Jahrhunderts. Landsknechte – meist deutsche Söldner – lebten bei ihren Feldzügen in autarken Gemeinschaften, nahmen teilweise sogar ihre Familien mit in den Krieg. Zu dieser Gemeinschaft gehörten auch Marketenderinnen, also Marktfrauen, und sogenannte „Trossweiber”. Die kümmerten sich um die Versorgung der Kämpfenden in allen Lebenslagen.
Die Leidenschaft fürs Verkleiden hegt Brigitta Liepert seit jeher. „Ich mochte schon immer die alten Kostümfilme im Fernsehen”, gesteht sie. Lange wirkte sie bei der Paartalia mit und war auch im Elferrat der Faschingsgesellschaft. Als „Aichacher Stadthexe” lehrt sie im Weiberfasching den Herren das Fürchten. In ihren historischen Kleidern tritt sie hingegen gesittet auf, in weißen, blickdichten Strumpfhosen und mit Kuhmaulschuhen am Fuß. Das sind breite, flache Lederschuhe mit viel Platz für die Zehen, gut geeignet auch zum Tanzen. Etwa auf historischen Festen, die sie mit den „Freunden des Mittelalters Aichach” besucht.
Die Ideen für ihre Kleider holt sich Liepert aus zahlreichen Büchern oder aus dem Internet. „Die Kleidung des Mittelalters ist eigentlich nicht schwer zu machen. Es sind im Prinzip Dirndl-Schnitte”, erzählt sie. Als Textilien verwendet sie meist Vorhangstoffe, Damast, Brokat, manchmal auch Seide. Den letzten Schliff erhält die Ausstattung durch Perlen, Glasschmuck, Bordüren (gerne auch in Gold) und passende Ringe und Schmuckstücke aus Messing. Manchmal wird ein Kunstpelz um den Hals oder über die Schulter getragen. Flohpelz nannte man das seinerzeit, weil sich im Fell das Ungeziefer sammelte und so den Kleidern fern blieb.
Derzeit fertigt Brigitta Liepert ein dunkelblaues Kleid im Cranach-Stil, also in fränkischer Tradition. Und auch das nächste Projekt steht schon an: 2025 wird sie mit Freunden am Karneval in Venedig teilnehmen, einem weltweit einzigartigen Spektakel in der Tradition der „Comedia dell'arte”. Sie mimt die Figur der Colombina, die so beschrieben wird: „Meistens spielt sie die Rolle der Magd oder Köchin. Ihr fehlt jedes gekünstelte Element der Oberschicht und sie ist eine lebenslustige und selbstsichere Figur, die kein Blatt vor den Mund nimmt.”