Falsche Medikamente, unversorgte Wunden und hungernde Bewohner: Ehemalige Pfleger erheben schwere Vorwürfe gegen das Seniorenheim Ebnerstraße in Augsburg-Oberhausen. Am Mittwoch hatte zuerst der Bayerische Rundfunk berichtet. Danach meldeten sich zahlreiche Politiker zu Wort und forderten unter anderem eine „lückenlose Aufklärung”, so die Fraktion aus SPD und Linken, die größte Oppositionsfraktion im Augsburger Stadtrat. „Sollten die erhobenen Vorwürfe zutreffen, wird zu klären sein, wie es soweit kommen konnte und warum die beschriebenen Zustände so lange nicht abgestellt worden sind“, kritisierte die sozialpolitische Sprecherin Jutta Fiener (SPD). Inzwischen hat sich auch die Stadt Augsburg geäußert. Die städtische Heimaufsicht habe „Anordnungen zur Behebung von Missständen erlassen”. Über die Zukunft des Hauses werde beraten.

Der Heimaufsicht waren Probleme bekannt. Die Einrichtung werde von der „Fachstelle für Pflege und Behinderteneinrichtungen, Qualitätsentwicklung und Aufsicht” (FQA) seit einem Jahr „engmaschig überwacht”, heißt es von der Stadt. Seit Februar vergangenen Jahres haben demnach vier unangekündigte Begehungen der Heimaufsicht in der Einrichtung stattgefunden. Es seien „Mängel in der Pflege festgestellt und Maßnahmen zur Behebung festgelegt” worden. Die jüngste Begehung sei erst vor kurzem gewesen, am 31. Januar. Bei zwei Begehungen seien darüber hinaus Vertreter der Regierung von Schwaben und des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vor Ort gewesen.

Der Träger des Heims an der Augsburger Ebnerstraße betrieb auch die Seniorenresidenz Schliersee, die vor einigen Monaten wegen massiver Missstände geschlossen wurde. Dem Augsburger SPD-Landtagsabgeordneten Harald Güller zufolge, habe das Bayerische Gesundheitsministerium im Oktober 2021 im zuständigen Ausschuss im Landtag über eine Teilverlegung von Bewohnern der Seniorenresidenz Schliersee an die Ebnerstraße berichtet. Auch im Landtagsausschuss war laut Güller von „engmaschiger Überwachung” die Rede. Güller sei nun überrascht über „die katastrophalen Zustände, die der BR aufgedeckt hat”. Er frage sich: „Was ist seit Oktober und heute zwischen Stadt Augsburg und Freistaat passiert beziehungsweise schief gelaufen?”

Laut der Regierung von Schwaben seien bei der Begehung im Januar unter anderem „Defizite in den Bereichen Wundmanagement und Thromboseprophylaxe” festgestellt worden. Die Stadt ergänzt, es habe „Beratungsgespräche über mögliche Maßnahmen zum Abstellen von Beanstandungen” gegeben.

Die Stadt Augsburg betont aber auch: „Die im aktuellen Beitrag des Bayerischen Rundfunks benannten extremen Mängel in der Einrichtung wurden bei diesen Begehungen nicht festgestellt.”

Diejenigen Mängel, die festgestellt wurden, seien entsprechend protokolliert und der Pflege- sowie der Trägerleitung mitgeteilt worden. In der Folge seien Maßnahmen zur Behebung der Mängel angeordnet worden. „Die Einrichtungsleitung muss diese angeordneten Maßnahmen umsetzen und die Mängel beheben”, so die Stadt.

Die Stadt kritisiert zudem die aktuelle Rechtslage. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe 2012 entschieden, dass eine Veröffentlichung von Prüfberichten nur mit Zustimmung der Einrichtung selbst möglich sei. Detaillierte Auskünfte zu Inhalten der einzelnen Prüfberichte unterliegen dem Datenschutz. „Das ist nicht akzeptabel“, findet Reiner Erben.
Wie der Gesundheitsreferent erklärt, werde das weitere Vorgehen in den kommenden Tagen gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden beraten – „von möglichen weiteren Anordnungen bis hin zur Schließung der Einrichtung.” Letzteres hatte am Mittwoch auch Frederik Hintermayr von den Augsburger Linken gefordert, der selbst ausgebildete Pflegefachkraft ist. Seiner Ansicht nach sei „eine Schließung der Einrichtung von Amtsseite geboten”.

Laut Grünen-Politiker und Gesundheitsreferent Erben „geht es um Menschen, die versorgt werden müssen. Deshalb kann ein Heim zwar nicht von jetzt auf nachher geschlossen werden. Doch die Entwicklung in der Einrichtung Ebnerstraße ist unakzeptabel.” Dass die „hohe Kontrolldichte und die Anordnung von Maßnahmen” unterlaufen werden könnten, sei „ein Missstand und muss gelöst werden”. Aktuell sei die Grundlage des Kontrollsystems das „Pflege- und Wohnqualitätsgesetz”. Die städtische Heimaufsicht, die im Gesundheitsamt der Stadt Augsburg angesiedelt ist, überwache die stationären Pflegeeinrichtungen auf dieser Gesetzesgrundlage. Werden Mängel festgestellt, kann sie Maßnahmen anordnen, die von „Änderungen im Prozessmanagement” über den Austausch von Führungskräften bis hin zur Schließung der Einrichtung reichen. Auch Bußgelder sind möglich.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Christina Haubrich aus dem Stimmkreis Aichach-Friedberg, hatte am Vortag zu bedenken gegeben, ob „mit dem derzeitigen System so schnell und konsequent bei Mängeln durchgegriffen werden kann, wie es nötig wäre, um die Bewohner und Bewohnerinnen zu schützen”. Der Augsburger Fall sei eine „erschütternde Wiederholung” der gravierenden Mängel in der Seniorenresidenz Schliersee.

„Ich frage mich, wie so etwas nochmals passieren kann”, heißt es in einem Statement des pflegepolitischen Sprechers der FDP-Landtagsfraktion, Dominik Spitzer. Es liege „die Vermutung nahe, dass sich im Freistaat ein Systemversagen der Kontrollinstanzen gefestigt hat. Es wäre die ureigenste Aufgabe der Staatsregierung, hier endlich eine Reform voranzutreiben.”