Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 20.01.2023 14:10

Inklusiv ist es nur daheim

In unserem Bericht „Zu große Klassen für Kind mit Down-Syndrom“ (11. Januar) und im Leserbrief „Inklusion ist nie einfach“ (14. Januar) ging es um ein Mädchen, das nicht mehr als Gastschülerin in Affing bleiben darf, sondern an seine Sprengelschule in Friedberg wechseln musste. Dazu erreichte uns folgender Leserbrief:

Ein entscheidendes Merkmal inklusiver Qualität ist der Bezug zum Wohnsitz, also die Einbeziehung im bestehenden räumlichen und damit natürlichen sozialen Lebensumfeld – die strukturelle Nicht-Ausgrenzung. Inklusion entsteht nicht automatisch durch das ausnahmsweise (!) Aufeinandertreffen von Kindern mit und ohne Behinderungen, erst recht nicht außerhalb des Schulsprengels. Ja noch nicht einmal dann, wenn eine Sprengelschule ein Kind mit Behinderung ohne „angemessene Vorkehrungen“ (Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention) in ihren Reihen hat.
Im schulischen Kontext bedeutet Inklusion folglich: dieselbe Schule zu besuchen wie die Nachbarskinder. Nur dort ist das Kind durch den Wohnsitz zugehörig – „inklusiv“. An jedem anderen Ort außerhalb des Wohnsitz-Schulsprengels kann das Kind als „Gast-Schüler“ allenfalls integrativ beschult werden. Die strukturelle Separierung im kindlichen Alter von zehn Jahren in verschiedene weiterführende Schulen entbehrt ohnehin auch nur eines Fünkchens inklusiven Geistes. Von absichtlicher „sozialer Selektion“ zu sprechen, würde diesen Geist wohl zutreffender beschreiben.
Soweit ich den Schulleiter, Herrn Karsten Weigl, kenne, hat er neben der räumlichen Enge an seiner Schule auch den Umstand der ohnehin bevorstehenden Separierung in verschiedene Schularten sehr gründlich mit abgewogen. Je früher das Kind aus Friedberg seine Sprengelschule besucht, umso eher kann von inklusiver Qualität die Rede sein, im Unterschied zur Integration in Affing. Die Kinder lernen sich kennen und bauen Beziehungen auf, die dann auch in eine inklusive Zukunft sowohl in der weiterführenden Schule als auch in der Freizeit oder am Arbeitsplatz tragen sollten - je früher und konsequenter, umso aussichtsreicher.
Klassen mit 28 Kindern sind für jedes Kind zu groß – nicht nur für einzelne Kinder. Wer den sehr, sehr hohen Wert inklusiver, also nicht ausgrenzender Erziehung (Sozialisation) für eine Gesellschaft begriffen hat, weiß auch, wie unterschiedlich Kinder sind. Diese Unterschiede bedürfen allesamt individueller Unterstützung. Daher beinhaltet inklusive Pädagogik automatisch kleinere Gruppen. Ausnahmslos jedes Kind profitiert davon. Wenn es Kindern gut geht, sie sich gut entwickeln, gilt dies für die gesamte Gesellschaft.

Wie einfach Inklusion ist, beweisen viele Länder, die den Irrweg strukturell separierender Pädagogik nie eingeschlagen haben oder wenigstens nicht mit derselben Intensität und demselben Aufwand, wie wir es hierzulande betreiben. Diesen Irrweg zu verlassen, scheint schwierig zu sein – je unentschlossener, umso schwieriger. Inklusion ist also nur in einem Schulsystem schwierig, das sich auf dem Irrweg strukturell separierender und ausgrenzender Pädagogik befindet und auch nicht beabsichtigt, wenigstens scharf zu bremsen oder gar den Rückwärtsgang einzulegen. Inklusion fordert die radikale Abkehr von der bestehenden separierenden und ausgrenzenden Schul-Struktur. Anders kann das Menschenrecht auf Inklusion nicht verwirklicht werden.

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