Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 02.06.2023 06:29

Eine Tandernerin in Schwaben

<b>Das erste Rehkitz,</b> das in der Friedberger Lech-Arche aufgenommen und weitervermittelt wurde, stammt aus dem Dachauer Hinterland. An der Kreisstraße in Richtung Weitenwinterried wurde das Weibchen angefahren. (Foto: Bastian Brummer)
Das erste Rehkitz, das in der Friedberger Lech-Arche aufgenommen und weitervermittelt wurde, stammt aus dem Dachauer Hinterland. An der Kreisstraße in Richtung Weitenwinterried wurde das Weibchen angefahren. (Foto: Bastian Brummer)
Das erste Rehkitz, das in der Friedberger Lech-Arche aufgenommen und weitervermittelt wurde, stammt aus dem Dachauer Hinterland. An der Kreisstraße in Richtung Weitenwinterried wurde das Weibchen angefahren. (Foto: Bastian Brummer)
Das erste Rehkitz, das in der Friedberger Lech-Arche aufgenommen und weitervermittelt wurde, stammt aus dem Dachauer Hinterland. An der Kreisstraße in Richtung Weitenwinterried wurde das Weibchen angefahren. (Foto: Bastian Brummer)
Das erste Rehkitz, das in der Friedberger Lech-Arche aufgenommen und weitervermittelt wurde, stammt aus dem Dachauer Hinterland. An der Kreisstraße in Richtung Weitenwinterried wurde das Weibchen angefahren. (Foto: Bastian Brummer)

So viel von der Welt hat wohl noch nicht jedes Reh gesehen. Erst recht hätte sich ein Rehkitz aus Tandern wohl nie gedacht, dass es einmal in Baden-Württemberg landen wird. So ist es einem jungen Weibchen am Dienstag geschehen. Zwischen Weitenwinterried und Tandern wurde es von einem Auto angefahren. Später kam es über die Lech-Arche in Derching nach Baden-Württemberg. Dort wächst es jetzt unter seinesgleichen auf. Ob es dem oberbayerischen Reh-Mädel aus dem Dachauer Hinterland in Oberschwaben so gut gefällt, darüber lässt sich freilich nur spekulieren. Klar ist aber: Es hatte eine ordentliche Portion Glück.

Ort des Geschehens ist die Kreisstraße 8. Malerisch schlängelt sie sich vom Ilmtal kommend hinauf zu den Hügeln des Altomünsterer Landes. Waldig und weitläufig ist die Gegend um Weitenwinterried, Tandern und Schmarnzell. Wer dort mit dem Auto fährt, sollte wachsam sein. Ein Mann aus Friedberg ist gerade unterwegs Richtung Freising, als es passiert. Ein Kitz quert die Straße und läuft vors Auto.

„Zum Glück bin ich nur 60 gefahren”, sagt der Autofahrer. Inzwischen hockt er vor seinem Auto, seine rechte Hand fährt dem Kitz über den felligen Kopf. Wie durch ein Wunder ist dem kleinen Weibchen augenscheinlich nichts passiert. Weil es aber mit dem rechten Hinterlauf im Kühlergrill hing, musste der Friedberger es anfassen. Meist nehmen die Geißen, also die Muttertiere, ihre Kitze nicht mehr an, sobald sie mit Menschen in Kontakt waren. Der Autofahrer, der dort am Straßenrand hockt und das Kitz streichelt, will seinen Namen nicht nennen, gibt aber gerne Auskunft über die Reise des Rehs.

„Der zuständige Jäger hätte es erschossen”, erklärte der Friedberger wenige Stunden nach dem Unfall im Gespräch mit unserer Zeitung. Weil ihm das Tier leid tat, habe er es kurzerhand mitgenommen und sich auf die Suche nach einer Auffangstation gemacht, erzählt der Friedberger. In Gessertshausen bei Augsburg habe das Kitz keiner genommen. „Ich hätte mir vom Jäger schriftlich bescheinigen lassen müssen, dass mir das Tier übergeben wurde”, erinnert er sich.

Im Derchinger Tierheim, der Lech-Arche, wurde der Mann schließlich fündig. Dort wurde das Tier aufgenommen und noch am selben Tag weitervermittelt. Jetzt ist es in Bad Wurzach untergekommen.

Rehkitz kommt von Tandern nach Bad Wurzach

In der oberschwäbischen Gemeinde in Baden-Württemberg darf das Kitz nun gemeinsam mit über 20 Artgenossen aufwachsen. Später soll es ausgewildert werden, wie Jennifer Posteiner vom Tierschutzverein Augsburg erklärt. Der Verband ist zuständig für die Lech-Arche. Und das Reh war der erste „Großsäuger”, den die Arche aufgenommen hat, erzählt Posteiner weiter. „Wir als Tierschutzverein bekommen immer wieder Wildtiere”, sagt sie. Kleinere wie Vögel, Eichhörnchen oder Marder könnten die Fachleute selbst aufziehen und pflegen. „Für Rehe brauchen wir aber adäquate Anlaufstellen”, macht Posteiner klar.

Der Mann, der das kleine Reh vorbeigebracht hat, habe „völlig richtig” gehandelt, meint die Tierfreundin. Wenn junge Wildtiere gefunden werden, was gerade im Mai und Juni nicht selten vorkomme, seien der Tierschutzverein, die Polizei oder auch die Berufsfeuerwehr in Augsburg die richtigen Ansprechpartner, erklärt Posteiner. Dass das Reh den Unfall allerdings unbeschadet überlebt hat, sei fast eine kleine Sensation. So schätzt auch Paul Berchtenbreiter die Situation ein. Der Vorsitzende des Jagdschutz- und Jägerverbands Aichach war selbst nicht vor Ort.

Berchtenbreiter: „Das Tier hatte in dem Fall riesiges Glück”

Der Jagdexperte aber betonte, dass es gängige Praxis sei, Kitze nach einem Verkehrsunfall zu erschießen. Selbst wenn ein Reh keine sichtbaren Wunden habe, sei es meist innerlich verletzt und sterbe langsam und qualvoll. Der Schuss erlöse es dann von ihrem Leiden, zumindest in der Regel. „Das Tier hatte in dem Fall wohl riesiges Glück”, machte Berchtenbreiter deutlich. Vielleicht sind die Rehe im Hinterland einfach härter im Nehmen.

Dem Vernehmen nach hat sich die kleine Oberbayerin aber auch in Oberschwaben bereits gut eingelebt. Alexander Dreher von der dortigen Rehkitzrettung BW hat das auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigt. Derzeit ist er täglich mit einer Drohne unterwegs, um Kitze in Wiesen zu entdecken, die abgemäht werden sollen. In einer eigenen Auffangstation leben derzeit über 20 Kitze, die von ihren Müttern verstoßen wurden, das Kitz aus Tandern inklusive. Und immerhin: grüne Wiesen, sanfte Hügel und dunkle Wälder gibt es auch in Oberschwaben.


Bastian Brummer
Bastian Brummer

Redakteur

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