Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Mittelalterliche Fernküche: Hypocras per Hypertext

Live ins Internet   übertragen wurde die Stadtführung in Aichach mit (von rechts) Stadthexe und Moderatorin Sabine Dauber, dem Aichacher Mesner Martin Ruhland und dem Stadt-Nachtwächter und Stadtführer Franz Gutmann in der Pfarrkirche. 	Foto: Xaver Ostermayr (Foto: Xaver Ostermayr)
Live ins Internet übertragen wurde die Stadtführung in Aichach mit (von rechts) Stadthexe und Moderatorin Sabine Dauber, dem Aichacher Mesner Martin Ruhland und dem Stadt-Nachtwächter und Stadtführer Franz Gutmann in der Pfarrkirche. Foto: Xaver Ostermayr (Foto: Xaver Ostermayr)
Live ins Internet übertragen wurde die Stadtführung in Aichach mit (von rechts) Stadthexe und Moderatorin Sabine Dauber, dem Aichacher Mesner Martin Ruhland und dem Stadt-Nachtwächter und Stadtführer Franz Gutmann in der Pfarrkirche. Foto: Xaver Ostermayr (Foto: Xaver Ostermayr)
Live ins Internet übertragen wurde die Stadtführung in Aichach mit (von rechts) Stadthexe und Moderatorin Sabine Dauber, dem Aichacher Mesner Martin Ruhland und dem Stadt-Nachtwächter und Stadtführer Franz Gutmann in der Pfarrkirche. Foto: Xaver Ostermayr (Foto: Xaver Ostermayr)
Live ins Internet übertragen wurde die Stadtführung in Aichach mit (von rechts) Stadthexe und Moderatorin Sabine Dauber, dem Aichacher Mesner Martin Ruhland und dem Stadt-Nachtwächter und Stadtführer Franz Gutmann in der Pfarrkirche. Foto: Xaver Ostermayr (Foto: Xaver Ostermayr)

Solch Hintergründiges erfährt man bei einer Stadtführung durch Aichach. Eine davon war vergangene Woche, eine ungewöhnliche zudem, eine kulinarisch-hybride nämlich. Seit einem Jahr bieten die beiden Stadtführer Sabine Dauber, die „Stadthexe”, und Franz Gutmann, der „Nachtwächter”, Online-Spaziergänge an. Sie übertragen ihren Rundgang live über den Streamingdienst Zoom, Interessierte können sich von Zuhause aus zuschalten, über die Chatfunktion oder den Video-Kanal Fragen stellen - genau so, als wären sie persönlich dabei. 13 solcher Führungen, die in der Corona-Zeit mit ihren Kontaktverboten entwickelt wurden, haben die beiden bereits absolviert. Jeweils 25 bis 30 Endgeräte sind eingeloggt. Das sind mehr Zuseher als bei mancher Stadtführung in Präsenz.

*

Stadtpfarrkirche und Spitalkirche sind die Ziele dieser Hybrid- Führung. Sie steht unter dem Titel „Mit Leib und Seele”. Weil: Zum Abschluss gibt es für die Mitmarschierer ein mittelalterliches Menü im Köglturm. Und die digitalen Teilnehmer müssen darben? Mitnichten. Ihnen wurden per E-Mail die Rezepte fürs Nachtmahl vorab zugeschickt. Zum Selberkochen. Es gibt Brotsuppe, eine Pastete mit Hühnerfleisch oder Spinat als Hauptgang und Birnenpudding zum Desert.

Als Getränk empfohlen ist Hypocras. Das ist ein stark mit Honig gesüßter Wein, versetzt mit allerlei Gewürzen, gerne Zimt, Ingwer, Muskatnuss und Pfeffer. Alles zusammenschütten, einige Stunden ziehen lassen und abseihen. Schmeckt wie kalter Glühwein, stellt man unschwer fest, ist aber gesund und stärkt die Immunkräfte. Deshalb auch sein Name: Hypocras kommt von Hippokrates, dem Urvater der Ärzte. Der Würzwein wurde im Mittelalter auch im Aichacher Land getrunken. Der hier angebaute Wein (es gab Weinberge in Pöttmes und Kühbach, der Blumenthaler Orden zog Reben am Plattenberg) war mutmaßlich ein saures Gesöff und brauchte deswegen reichlich Zutaten. Doch auch mit einem heute gut ausgebauten und harmonischen Rebensaft, das wissen wir jetzt, schmeckt Hypocras einfach nach - Medizin.

*

Eine Stadtführung per Hypertext zu übertragen braucht technisches Know-How. Das hat Sabine Dauber, die professionell und unterhaltsam moderiert und behutsam die Kamera - ein herkömmliches Handy - führt. Ihr Sohn Alexander sitzt in Augsburg und ist für die Technik im Hintergrund zuständig. Regie führt an diesem Abend ein Spickzettel, er ist quasi das Drehbuch. Ansonsten gibt es keine Vorlagen, die Gästeführer haben alles Nötige im Kopf. Sie erzählen Wissenswertes zur Stadtpfarrkirche, unter anderem erläutert Mesner Martin Ruhland die Reliquien in dem Gotteshaus (Heiliger Sebastian und Kreuzpartikel). „Gibt es Grablegen?” lautet eine Frage an die Live-Streaming-Teilnehmer. Franz Gutmann klärt auf: Mitglieder des Deutschherrenordens und spendable Aichacher fanden unter der Kirche ihre letzte Ruhestätte.

*

Daheim vorm Notebook wartet derweil die Pastete auf ihren Verzehr. Mit wenigen Zutaten kommt deren Rezept aus. Mehl, Eier, Schmalz und Wasser für den Teig, Spinat, Käse, Sahne und Rosinen für die Füllung. Mehr braucht's nicht, denn anno 1350 war die Lebensmittel-Auswahl dahier kärglich. Es gab weder Kartoffeln noch Tomaten, statt Gewürzen eher Kräuter. Die Brotsuppe kommt mit Brot und heißer Gemüsebrühe aus. Wir haben allerdings noch eine Zwiebel in Schmalz angeröstet und dazu gegeben für den Geschmack. Wie seinerzeit die Oma, die Brotsuppe immer zum Frühstück auftischte, noch vor dem Kaffee.

*

Inzwischen sind die sechs Frauen und Männer, die die Stadtführung in Präsenz genießen, im Köglturm angekommen. Dort wird ebenfalls aufgetischt, man labt sich an den gleichen Gerichten wie die Online-Köche. Nur der Tischwein - Klosterwein aus Altomünster - scheint besser zu munden als der selbstgepanschte Hypocras... Kurzweilig plaudern die Stadthexe und der Nachtwächter über mittelalterliche Tischsitten und Essgewohnheiten. Dass man angehalten war, nicht ins Tischtuch zu schnäuzen. Und „nicht mit leerem Blicke dem Nachbarn zuhören” sollte, sondern interessiert Konversation führen. Dass man damals hauptsächlich Getreidebreie aß, oft mit Mandelmilch angemacht, und dass auch das Gemüse fast immer zu Brei verkocht wurde. Nicht nur, weil man das als gesünder erachtete, sondern auch, weil den Menschen schon in jungen Jahren die Zähne ausgefallen waren. Dazu trug auch das Mehl bei, das mit kleinen, pulverisierten Steinchen durchsetzt war, ein Abrieb der Mühlsteine. Befremdliche Erkenntnis an diesem Abend auch: Man aß nur mit Löffel und Messer. Nicht, dass es keine Gabeln gegeben hätte. Aber die galten als Teufelszeug. Die beiden Zinken erinnerten an die Hörner des Beelzebubs, mit so etwas dinierte man nicht. Stadthexe Sabine Dauber erzählte, dass in frühen Darstellungen die Hexen sogar auf einer Gabel ritten. Der Besen wurde erst später das Flugzeug der Satans-Verehrerinnen.

Die Hybrid-Stadtführung vergangene Woche war eine Premiere. Erstmals boten Dauber und Gutmann dieses Format im Rahmen des Weltgästeführertages 2022 an. An 28 Endgeräten waren Zuseher zugeschaltet, unter anderem auch aus Augsburg, Dachau, München und Nördlingen. Der Chat, also das Nachfragen und „Ratschen” über den Online-Kanal, war allerdings recht verhalten. Offenbar genossen die digitalen Spaziergänger nicht nur ihr Selbstgekochtes, sondern auch die launigen Anekdoten, die erzählt wurden: von der bulligen Brauereieigentümerin Therese Reithmeier oder von den ehemals zehn Brauereien und der Aichacher Biertradition.

Inzwischen arbeitet das Stadtführerteam schon an einem weiteren Format. Demnächst wird es eine Online-Führung durch Altomünsterer Keller geben, die live auf Großleinwand im Museumsforum übertragen wird.


Von Wolfgang Glas
north