Wie war das Mittelalter? Gar nicht so leicht zu sagen. Es dauerte ja recht lang. Tausend Jahre etwa, von 500 bis 1500 nach Christus. Kinofilme verklären diese Epoche als Zeit der edlen Ritter, der mächtigen Könige und der prächtigen Kirchenbauten; Archäologen belegen hingegen, dass die Städte fäkaliendreckig und die Leute auf dem Land bettelarm waren.
Die „Freunde des Mittelalters Aichach” pflegen ein eigenes Bild dieser Ära. Eines abseits aller Extreme: „Wir sind Darsteller”, sagt Franz Achter, der Vereinsvorsitzende. Er und seine Truppe inszenieren die angenehme, optimistische Seite des Mittelalters – mit eleganten Tänzen, bodenständigem Handwerk und mehr als ausreichend Essen und Trinken. Bei den Mittelalterlichen Markttagen vom 8. bis 10. September werden sie ihr Lager in der Hubmannstraße aufschlagen: fünf Zelte zum (Er)Leben, Schlemmen und Schlafen.
Wie die meisten Mittelalter-Feste erhebt das Aichacher keinen Anspruch auf historische Exaktheit. Menschen, die Gefallen an dieser bunten Reise in die Vergangenheit finden, mögen die unkomplizierte Atmosphäre dort, das Urige und Deftige. Nichtsdestoweniger orientiert man sich an Überliefertem. Bei der Kleidung beispielsweise. Die ist in Aichach einfach und praktisch. Denn anno 1347, als das Dorf die Münchener Stadtrechte erhielt (woran die Mittelaltertage erinnern), gab es in der Gegend nur Bauern und kleine Handwerker. Die trugen schlicht gehaltene Hosen, Röcke und knopflose Hemden aus Wolle und Leinen. Eine Kopfbedeckung gehörte dazu, Hauben bei den Frauen, bei den Männern die Gugel, eine zipfelige Kapuze, die auch über die Schulter reichte und so vor Regen schützte.
„Unsere Leute machen das alles selbst”, erzählt Franz Achter. „Es gibt entsprechende Schnitte, das Gwand ist nicht schwer zu nähen.” Er selbst kommt mit einer einzigen Hose, einem Hemd und einem Hut aus. Nicht fehlen darf das Messer, das er an einem Ledergürtel um die Hüfte trägt. Das Messer zeichnet ihn als Sippen-Chef aus. Der Messergriff ist aus Hirschhorn, eine Eichel als Symbol Aichachs ist eingeschnitzt.
Das Messer ist handgemacht, wie vieles, was man im Lager der Mittelalterfreunde findet. Es gibt eine Handwerkergruppe, acht Leute stark. Die färben Wolle, weben am Brettchen, klöppeln, sieden Seife, ziehen Duftkerzen. Zwölf Tänzerinnen und Tänzer umfasst die Gruppe Graculi Exsultanti. Sie zeigt internationale Gesellschaftstänze, die Chapelloise, den Scotch Cap und die Black Alemaine. Die Graculi Exsultanti (übersetzt: Hupfdohlen) werden von Beate Löw-Weinlein choreografiert, eine studierte Balletttänzerin. Mit ihren Vorführungen reisen die Paarstädter auf viele historische Feste in der Region, zuletzt waren sie in Burgau, Wemding oder Rohrbach in der Holledau. Für die Markttage haben sie sich jetzt sogar eine Trommlergruppe zugelegt. Vier g'standene Mannbilder hauen auf die Pauke.
45 Mitglieder zählt der Verein, der nach 1985 aus dem Historischen Freundeskreis hervorgegangen ist. Mehr als 20 Frauen und Männer sind „aktiv”. Sie rücken mit vollem Equipment zu Mittelalterfesten aus. Dort wird das Lager aufgestellt, fünf Zelte, in denen geschmaust und geratscht werden kann, in denen auch Besucherinnen und Besucher willkommen sind. Einige „harte Hunde” aus der Gilde verbringen tatsächlich drei Tage hintereinander im Lager. Sie schlafen auf Fellen, essen Gebratenes vom Lagerfeuer, werkeln in ihren Zelten. „Da sind manche eingerichtet wie Wohnzimmer”, lacht Franz Achter, „sogar mit Ritterrüstung.”
Der 69-jährige Untergriesbacher, Ex-Polizist und Ehrengauschützenmeister, mag's lieber gemütlicher. Zum Schlafen fährt er heim ins weiche Bett. Ansonsten genießt er aber sehr wohl die Atmosphäre, die ein Aufenthalt im Mittelalter mit sich bringt: „In dieser Umgebung der Einfachheit, mit Lagerfeuer und Rauschwaden, die zwischen den Zelten wabern, kann man umschalten. Da wird man auf sich selbst zurückgeworfen.” Alle gälten gleich viel. Da gebe es keinen, der seinen Doktortitel vor sich herträgt; der Akademiker sei in seinem Mittelalter-Gwand geradeso angesehen wie der Kassier, der im Getränkemarkt Biertragl einräumt. Für beide sei so ein Fest eines: eine Auszeit vom Jetzt.