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Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Auch Jesus ist menschlich: Kritik zur Premiere von „Jesus Christ Superstar” auf der Augsburger Freilichtbühne

„Heilt euch selbst!”, schreit Jesus, und flieht vor einer Horde an Menschen in blutigen weißen Lumpen. Vor wenigen Momenten hatten sich diese noch um ihn geschart, sich auf dem großen Kreuz in der Mitte der Bühne immer näher an ihn gedrängt, bis er drohte, in einem Menschenberg zu verschwinden. Jesus flieht vor den Hilfesuchenden, und es wird klar: Einen idealisierten Heiland verkörpert Markus Neugebauer auf der Augsburger Freilichtbühne nicht.
„Jesus Christ Superstar” feierte am vergangenen Samstag Premiere, zwölf Jahre nachdem das Musical von Andrew Lloyd Webber zum letzten Mal am Roten Tor zu sehen war. Bei den Zuschauern war die damalige Inszenierung, die die letzen Tage Jesu in ein Endzeitszenario versetzte, sehr beliebt.

Diesmal ist das Setting klassischer gehalten, und dennoch nie langweilig. Dafür sorgen vor allem das Ballett und das Ensemble in farbenfrohen Kostümen (Aleksandra Kica) und mit einer Choreographie von Ricardo Fernando, die das eher schlicht gehaltene Bühnenbild erst richtig mit Leben erfüllen. Mal geben sie die begeisterte Menge, die ihren „Superstar” feiert, und stecken mit ihrer guten Laune an, mal erschaffen sie eine Drohkulisse von Menschen, denen Jesus nicht entkommen kann.
Neben dem Ensemble überzeugen auch die Nebendarsteller mit gesanglicher und schauspielerischer Leistung. Regisseur Cusch Jung ist beeindruckend als Pontius Pilatus, Christopher Ryan überzeugt als Kaiphas und sorgt für Lacher als Herodes, der sich in einer goldenen Badewanne räkelt und dann mit seinem Harem einen Tanz in Handtuch und blauen Badelatschen aufführt.

Etwas blass wirken im direkten Vergleich dann leider die drei Hauptdarsteller: Auch Markus Neugebauer als Jesus, David-Michael Johnson als Judas und Sidonie Smith als Maria Magdalena zeigen zwar gesanglich kaum Schwächen, doch der letze Funke springt nicht über. Vor allem im ersten Akt droht Jesus fast im Treiben und zwischen den Stimmen des Ensembles zu verschwinden. Besser liegt Markus Neugebauer der zweite Akt. Die Wut auf Judas, die Wut auf Gott, bevor er sich seinem Schicksal ergibt, das Leiden während der Kreuzigung: Der vermenschlichte Jesus ist überzeugend gespielt, begeistert applaudiert das Publikum nach dem emotionalen Solo-Lied „Gethsemane”.
David-Michael Johnson spielt Judas mit viel körperlichem Einsatz und nimmt die Bühne deshalb von Beginn an besser ein. Er wandert auf dem Grad zur Verrücktheit, der er am Ende, zerfressen von seinem schlechten Gewissen, beim Lied „Tod des Judas” zu verfallen scheint.
Die beste musikalische Leistung der drei Hauptdarsteller zeigt Sidonie Smith als Maria Magdalena, überzeugt mit Soul-Einflüssen. Die Rolle der Maria Magdalena bleibt trotzdem farblos, geschuldet nicht Smith, sondern der Vorlage selbst. Kaum mehr zeitgemäß erscheint die Figur einer Frau, deren einziger Zweck die idealisierte Bewunderung eines Mannes ist. Perfekt begleitet werden die Sänger von den Augsburger Symphonikern und der Rockband Abyss. Die zwei unterschiedlichen Musikstile stehen in keinem Moment im Gegensatz zueinander, sondern verbinden sich zu einer eindrucksvollen Musikkulisse.
Die leichten Schwächen stören letztendlich das Gesamtkunstwerk nicht: Es ist eine tolle Aufführung, die das Staatstheater den Premiere-Gästen präsentiert. Als sich am Ende das große Kreuz auf der Bühne hebt und die Nacht erleuchtet, herrscht für einige Sekunden respektvolle Stille, bevor sich Applaus erhebt.


Von Laura Türk
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