Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 05.01.2023 11:50

Als die Ecknach der Mississippi war

<b>Blick auf das Gelände</b> der ehemaligen Firma Karl Merk, wo einige der &quot;Tatorte&quot; des Laububen lagen. Heute ist dort der Edeka-Markt. Rechts das frühere Wohnhaus der Familie. Am linken oberen Bildrand erkannt man das Milchwerk und das Lager der Baufirma Rehle. (Foto: Stadtarchiv Aichach)
Blick auf das Gelände der ehemaligen Firma Karl Merk, wo einige der "Tatorte" des Laububen lagen. Heute ist dort der Edeka-Markt. Rechts das frühere Wohnhaus der Familie. Am linken oberen Bildrand erkannt man das Milchwerk und das Lager der Baufirma Rehle. (Foto: Stadtarchiv Aichach)
Blick auf das Gelände der ehemaligen Firma Karl Merk, wo einige der "Tatorte" des Laububen lagen. Heute ist dort der Edeka-Markt. Rechts das frühere Wohnhaus der Familie. Am linken oberen Bildrand erkannt man das Milchwerk und das Lager der Baufirma Rehle. (Foto: Stadtarchiv Aichach)
Blick auf das Gelände der ehemaligen Firma Karl Merk, wo einige der "Tatorte" des Laububen lagen. Heute ist dort der Edeka-Markt. Rechts das frühere Wohnhaus der Familie. Am linken oberen Bildrand erkannt man das Milchwerk und das Lager der Baufirma Rehle. (Foto: Stadtarchiv Aichach)
Blick auf das Gelände der ehemaligen Firma Karl Merk, wo einige der "Tatorte" des Laububen lagen. Heute ist dort der Edeka-Markt. Rechts das frühere Wohnhaus der Familie. Am linken oberen Bildrand erkannt man das Milchwerk und das Lager der Baufirma Rehle. (Foto: Stadtarchiv Aichach)

Das erste, was der Leser zu sehen bekommt, ist eine Karte der „Tatorte“. Viele Tatorte, 16 Stück, um genau zu sein. Es handelt sich offenbar also um einen Serientäter. Wer jetzt an den Sonntagabend im ARD und Kapitalverbrechen denkt, liegt natürlich falsch. Bei den Taten handelt es sich um so schwerwiegende Vergehen wie einen Sprung aus dem Fenster, weil der Sporer Sepp davor gepfiffen hat und die Hausaufgaben warten konnten, Karbidschießen oder das Bauen von Fallgruben, in die Mädchen in weißen Kleidern gelockt wurden. Lausbubengeschichten halt. Und deshalb hat Karl Moser seine Kindheitserinnerungen auch „Aichacher Lausbubenjahre 1945 – 1952“ genannt.
Es sind Geschichten aus einer anderen Zeit, Geschichten aus rundum glücklichen Bubenjahren in einer gutbürgerlichen Aichacher Familie, wie der Autor im Vorwort schreibt. Das hat nichts Verkitscht-Verklärendes, schon gar nicht das Verbissen-Hadernde der sogenannten autofiktionalen Literatur der Gegenwart; Moser blickt vielmehr mit sympathischer Selbstironie, viel Humor und Wärme für die Menschen auf eine Kindheit zurück, die tatsächlich noch ein Abenteuer sein konnte, in der es mitunter streng zuging, in der man vieles aber dennoch nicht so eng sah wie heute; keine Lektüre für Helikopter-Mütter.
Denn der erfolgreiche Aichacher Unternehmer, Ingenieur, Politiker, Förderer von Kunst, Kultur und sozialen Projekten beginnt gleich mit einem Salto: Kaum waren die US-amerikanischen Soldaten in Aichach angekommen – und hatten ihr vorübergehendes Hauptquartier im heute nicht mehr stehenden Haus der Familie an der Münchener Straße bezogen – lief der Bub Karl Moser vor einen Jeep und wachte erst im alten Krankenhaus, dem heutigen Stadtmuseum, wieder auf. Nicht der einzige Unfall, denn zu einer richtigen Lausbubenkindheit gehört eben, dass man auch mal von Kieslastern fällt oder die Treppe hinunterstürzt.
Natürlich spielten die Buben damals Räuber und Gendarm, zwischendurch musste auch Helmut Schindler, mit dem Karl Moser später eine lebenslange Freundschaft verband, an den Marterpfahl gebunden werden, während die Bande dann an die Ecknach ging und ihn „vergaß“.

Der Schulweg in die alte Schule an der Hubmannstraße/Ludwig-Steub-Straße, wo der spätere Bürgermeister Alfred Riepl Karl Moser unterrichtete, war natürlich wichtiger als der Unterricht selbst, an der Martinshöhe bei Algertshausen wurde Schlittengefahren, weil es noch Schnee und richtige Winter gab, und die Ecknach war für die Buben der Mississippi, weil einer von ihnen damals schon „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ gelesen hatte.
Dass dann natürlich gleich ein Boot, also ein Floß, gebaut werden musste, weist schon auf die spätere, lebenslange Beschäftigung Karl Mosers mit Schiffen und dem technischen Modellbau hin – und die Konstruktionszeichnung eines kleines Dampfschiffes mit Rückstoß (der Wasserkessel war ein Hühnerei) lassen schon den späteren Ingenieur erahnen.
Gleiches gilt für das Betriebsgelände der Firma Karl Merk, Zimmerei und Dampfsägewerk, das damals gleich über die Straße lag. Heute befindet sich dort der Edeka-Markt. Das Gelände der 1867 gegründeten Firma war natürlich für den Buben auch ein Art riesiger Abenteuerspielplatz, gleichzeitig war es für ihn, dessen großer Wunsch eine Zeit lang ein eigener Hobel war, natürlich auch ein Experimentierfeld und eine Schule, um die Grundlagen des Zimmererberufs kennenzulernen. Später hat Karl Moser bekanntlich aus der Zimmerei ein weltweit tätiges, innovatives Holzbauunternehmen gemacht, und der frühe Bastler und Forscher hat dabei in vielen Bereich Pionierarbeit geleistet.
Die „Lausbubenjahre“ sind nach dem utopischen Roman „Holzland“ das zweite Buch Karl Mosers, und während dort in die Zukunft gedacht wurde, geht der Blick hier zurück, aber nicht nur in die eigene und die Familiengeschichte (mit wunderbaren Porträts der Familienmitglieder), sondern auch in die Geschichte Aichachs.
Viele alte Aufnahmen illustrieren beispielweise die Exkurse zur Aichacher Geschäftswelt, dem Stadtleben und dem Alltag in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und der persönliche Rückblick wird so zu einem Geschichtsbuch, einem der unterhaltsamsten, die man sich vorstellen kann.
Auf der letzten Seite des Buchs ist ein Foto von Karl Moser von heute zu sehen. Schaut man da genau hin, dann kann man bei dem Mann, der kommende Woche 81 Jahre alt wird, immer noch ein Lausbubenlächeln erkennen.

Karl Moser: Aichacher Lausbubengeschichten 1945 – 1952. Wißner Verlag, 173 Seiten, 25 Euro.

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