Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 24.12.2016 12:00

Sielenbacher kümmern sich um Flüchtlingsfamilie: Wie geht Integration?

Ferryal Weinmüller  (rechts) und Ola können gut miteinander: privat und in der Küche. Denn Ola hilft der Wirtin des Sielenbacher Sportheims auf Stundenbasis. 	Fotos: Carina Lautenbacher (Fotos: Carina Lautenbacher)
Ferryal Weinmüller (rechts) und Ola können gut miteinander: privat und in der Küche. Denn Ola hilft der Wirtin des Sielenbacher Sportheims auf Stundenbasis. Fotos: Carina Lautenbacher (Fotos: Carina Lautenbacher)
Ferryal Weinmüller (rechts) und Ola können gut miteinander: privat und in der Küche. Denn Ola hilft der Wirtin des Sielenbacher Sportheims auf Stundenbasis. Fotos: Carina Lautenbacher (Fotos: Carina Lautenbacher)
Ferryal Weinmüller (rechts) und Ola können gut miteinander: privat und in der Küche. Denn Ola hilft der Wirtin des Sielenbacher Sportheims auf Stundenbasis. Fotos: Carina Lautenbacher (Fotos: Carina Lautenbacher)
Ferryal Weinmüller (rechts) und Ola können gut miteinander: privat und in der Küche. Denn Ola hilft der Wirtin des Sielenbacher Sportheims auf Stundenbasis. Fotos: Carina Lautenbacher (Fotos: Carina Lautenbacher)

Im Dezember vergangenen Jahres übernehmen Weinmüllers die Betreuung der fünfköpfigen syrischen Familie. Jetzt, genau ein Jahr später, helfen sie Alabdallahs dabei, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Dazwischen liegt ein Jahr mit viel Arbeit, viel Freude und Freundschaft und viel Nachdenken: Wie begegnet man den Flüchtlingen, wie vereint man Kulturen miteinander und ganz aktuell: Wie lässt man wieder los? Mit anderen Worten die ganz große Frage im Kleinen: Wie geht Integration?

Kaum hat sich Ferryal Weinmüller nach der Versammlung in eine Liste für Helfer im Asylkreis eingetragen, da geht es auch schon Schlag auf Schlag los. Denn die 44-Jährige wurde im Iran geboren und spricht Farsi, also Persisch. Damit wird sie quasi über Nacht zu einer gefragten Dolmetscherin, denn Farsi sprechen auch viele afghanischen Flüchtlinge.

Eines Abends im vergangenen Dezember klingelt es an der Tür: In Sielenbach ist eine syrische Familie mit drei Kindern angekommen und keiner kann sie verstehen. Ferryal Weinmüller geht mit, kann die Familie noch begrüßen, weitere arabische Sprachkenntnisse hat sie aber nicht. Farsi hilft hier nicht weiter, dafür das Smartphone, das ein paar Wörter übersetzt. Mit ihrer damals noch vier Jahre alten Tochter geht Ferryal Weinmüller wieder nach Hause, packt zusammen mit ihrer Schwiegermutter ein paar Haushaltsutensilien und Lebensmittel ein, organisiert mit Hilfe einer Freundin halal geschlachtetes Fleisch und die kleine Taara steuert Spielsachen bei.

Thomas Weinmüller verfolgt das aus 6000 Kilometer Entfernung. Als Projektleiter eines großen Anlagenbauers verbringt er gerade die letzten Wochen eines einjährigen Arbeitseinsatzes in Indien. Er lernt die syrische Familie via Skype kennen.

Kaum ist er zurück, steigt er wenige Tage nach der Ankunft mit ins Helfer-Geschäft ein: Die Familie muss zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) nach München. In der Früh um sieben Uhr sind sie da und ziehen die Nummer 25. Die Räume sind überfüllt, die überlasteten Mitarbeiter reagieren teilweise ruppig, der Ton ist rau, die Aussage über die Dauer des Asylverfahrens vage. Überraschend gibt es die Anerkennung dann doch sehr schnell. „Aber dann ging der Behördendschungel erst richtig los - Jobcenter, Landratsamt, Krankenkasse”, erzählt Thomas Weinmüller.

Die Erfahrungen mit den Behörden waren höchst unterschiedlich. Weil Ferryal Weinmüllers Sprachkenntnisse sich herumgesprochen haben, hilft sie auch außerhalb des Landkreises Aichach-Friedberg aus. Sie erinnert sich, wie sie und ein Schützling von einem Mitarbeiter eines auswärtigen Jobcenters angeblafft wurden. Ohne Grund. Ganz unabhängig davon, dass ein höflicher Ton nicht schwieriger anzuschlagen ist als ein ruppiger, hat sie noch andere Einwände gegen ein solches Verhalten: „Eine Behörde ist doch auch das Gesicht eines Landes.” In Aichach sei so etwas nie passiert. Im Gegenteil: Weinmüllers sind voll des Lobes über das Aichacher Landratsamt. Die Mitarbeiter seien „top” und vor allem: „immer menschlich”.

In Sielenbach zeigt sich, wie gut die Hilfe klappen kann, wenn viele anpacken. In der Geschichte, die Weinmüllers erzählen, kommen die anderen Helfer des Asylkreises vor: der „wahnsinnig sozial eingestellte” Bürgermeister Martin Echter, engagierte Gemeinderäte, ein ansässiges Unternehmen, das ohne Aufhebens einen Lkw zur Verfügung stellt, Ärzte, die Verständnis haben und am Ende auch mal auf eine Rechnung verzichten, „auf die Caritas kannst Du Dich immer verlassen, und wer Zeit hat, kann fast jede Woche auf einen Vortrag des Landratsamts zum Thema Asylarbeit gehen”. Auch die von der Behörde organisierten Vernetzungstreffen der Asylkreise schätzen die beiden.

Für Ferryal Weinmüller bringen die Betreuung der Flüchtlinge und ihre Ankunft in einem so fremden Land auch Erinnerungen an die eigene Kindheit mit sich. Zwölf Jahre war sie alt, als sie zusammen mit ihrem Vater 1985 in Augsburg ankam. Für sie stellt sich deshalb vieles anders dar. Zum Beispiel das Schimpfen auf die lange Bearbeitungsdauer der Asylanträge. „Mein Vater hat damals auch ein Jahr auf Antwort gewartet, ob er bleiben darf.”

Konfrontiert wurden Weinmüllers auch mit dem Neid anderer Flüchtlinge auf die Syrer, die gefühlt und tatsächlich besser behandelt werden. Weil sie aus einem in Schutt und Asche gebombten Land kommen, wie die Nachrichtenbilder regelmäßig eindrücklich zeigen. Aber auch weil viele gut ausgebildete Menschen darunter sind und die Unterschiede zwischen Deutschen und Syrern in der Mentalität kleiner scheinen als die zu anderen Nationalitäten.

Überhaupt wäre vielleicht mancher Beobachter überrascht, wenn er bei Alabdallahs zu Gast sein könnte, wie wenig Unterschiede es in vielen Dingen gibt, zumindest auf den ersten Blick: Kinder, die keine Hausaufgaben machen wollen, die Mutter, versucht vergeblich, alle zum Essen an den Tisch zu trommeln, die Geschwister kabbeln sich untereinander.

Die Familie ist nach und nach in der deutschen Wirklichkeit angekommen. Die Kinder lernen die Sprache ohnehin blitzschnell, die Eltern besuchen die Integrationskurse. Mohammad (38) arbeitet darüber hinaus zehn Stunden in der Woche im Bauhof mit, seine Frau Ola (33) hilft Ferryal Weinmüller, die die Wirtin des Sielenbacher Sportheims ist, und der älteste Sohn Hassan trägt Zeitungen aus.

„Sie haben schon gefragt, warum sie arbeiten sollen, wenn es doch auch so Geld gibt”, erinnern sich die Betreuer. „Wir haben ihnen dann erklärt, dass man sich einbringen sollte und in diesem Staat mitarbeiten muss, weil das sonst einen negativen Eindruck macht; dass man zeigen muss, dass man integriert werden will.” Und es funktioniert: Je mehr die Familie unter Menschen kommt, umso schneller und besser sprechen alle deutsch. Sie verlieren ihre Schüchternheit und sind inzwischen die größten Fans des TSV Sielenbach, wo Hassan in der U 13 spielt - als Stürmer, auch wenn es derzeit noch etwas an Toren mangelt. Sein kleiner Bruder macht es ihm nach: Der sechsjährige Abdurahman kickt auch schon und besucht zusammen mit Taara den Kindergarten. Hanan (12) hat mit Fußball dagegen nichts am Hut, sie mag aber anderen Sport, etwa wenn in der Schule Völkerball gespielt wird.

Manche Unsicherheit bleibt trotzdem. Mohammad, der seit zwei Wochen mit seiner Familie in einer gemeindeeigenen Wohnung wohnt, fragte Ferryal Weinmüller einmal, ob die Tochter denn später ein Kopftuch tragen sollte. „Was sagt man denn da?” Ein Kopftuch sei immer eine sichtbare Auffälligkeit, aber diese Entscheidung könne man natürlich niemandem abnehmen. „Auch wenn es umgekehrt eine Ehre ist, gefragt zu werden.” Zugleich schwingt bei diesem Thema wie bei anderen auch die Sorge mit, „ob das, was wir wollen, auch das ist, was sie wollen.” Gerade Traditionen seien schön und schwierig zugleich. Ferryal Weinmüller weiß das selbst am besten. Im Iran feiert man Neujahr zum Beispiel immer im März. „Das ist ein Brauch, den ich an meine Tochter weitergebe. Aber es gilt auch: Ich lebe hier.”

Immer häufiger stellt sich für Weinmüllers die Frage, wann die Hilfe allmählich auslaufen soll und muss. Wo Fürsorge endet und Selbstständigkeit beginnt. Bei der Fahrt zum Arzt oder der Schüssel für arabisches Fernsehen? „Wohnung, Schule, Freizeit, Sprache - es ist alles geregelt, jetzt müssen wir uns zurückziehen.” Es ist der Punkt, an dem Betreuung aufhört und Freundschaft anfängt. Wo aber trotzdem noch jede Mitteilung des Jobcenters dazu führt, dass Mohammad Alabdallah und Thomas Weinmüller lange die Köpfe zusammenstecken.

Flüchtlinge und Helfer leben fast immer in unterschiedlichen „Zeitzonen”: Die Helfer sind berufstätig, haben eigene Familien und sind häufig auch noch in anderen Vereinen aktiv. Zeit ist Mangelware. Für die Geflüchteten ist das Warten lang: Wann kommt endlich der Bescheid vom Bundesamt für Migration, wann findet sich die langersehnte eigene Wohnung? Mohammad zum Beispiel, der früher auch als Taxifahrer gearbeitet hat, will unbedingt den deutschen Führerschein machen. „Eines nach dem anderen”, bremst Thomas Weinmüller.

Er und seine Frau werden sich auch weiter um Flüchtlinge kümmern, wenn es nötig ist. Aber eine so große Nähe, die nicht nur zeitlich, sondern auch emotional viel Raum fordert, wollen sie beim nächsten Mal vermeiden. Das ist kein Frust, nur ein Lernprozess: „Es ist sehr aufwendig, aber es lohnt sich, um am Ende diesen Erfolg und diese Freude zu sehen.” „Es ist sehr aufwändig, aber es lohnt sich, um am Ende diesen Erfolg und diese Freude zu sehen”


Von Carina Lautenbacher
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