Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 15.01.2019 23:00

Verminderte Schuld?

Der pädophile Kinderarzt Harry S. war 2016 zu einer Haftstrafe von dreizehneinhalb Jahren, anschließender Sicherungsverwahrung und einem lebenslangen Berufsverbot verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte dieses Urteil jedoch im Mai 2018 aufgehoben. Den sexuellen Missbrauch der Buben hatte S. schon im ersten Prozess eingeräumt. Dass der 43-Jährige die Taten begangen hat, steht auch im neuen Verfahren nicht in Frage, wohl aber, ob er vollumfänglich schuldfähig war.

Der Psychiater Richard Gruber sagt Ja. Seiner Diagnose zufolge habe der Angeklagte eine „homosexuelle pädophile Störung ausschließlichen Typs”, er wird also nur von Jungen vor der Pubertät sexuell erregt. Allerdings, so das Ergebnis des Gutachters, liege keine Persönlichkeitsstörung vor. Im Laufe der Verhandlung habe er ein gutes Bild von der Persönlichkeitsstruktur des Kinderarztes gewinnen können, durch die Einlassung des Angeklagten selbst, aber auch durch Stimmen aus verschiedensten Lebensbereichen des Mannes. S. sei als beruflich belastbar, ausgeglichen, verantwortungsbewusst und entscheidungsstark beschrieben worden. Das vermittle ein durchweg positives Bild seiner Persönlichkeit. Eine Persönlichkeitsstörung als Ursache für eine verminderte Schuldfähigkeit schließe Gruber also aus. Er sehe insgesamt „kein Merkmal, das für eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit spricht”.


Von Kristin Deibl
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