Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 20.10.2017 09:00

Das Rumoren im Backsteinschlund

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Die Öffnung gehört keinem düsteren Untier, sondern führt in den Kanal, der unter dem St.-Jakobs-Stift in der Augsburger Altstadt verläuft. Das Rumoren erzeugt eine Straßenbahn, die ein paar Dutzend Meter weiter am Barfüßer-Kloster die Gewölbe überquert.

Erstmals dürfen am Donnerstag Besucher der Stadt unter die Haut blicken. Dort erstrecken sich ihre Wasseradern: rund 180 Kilometer an unterirdischen Kanälen, die mit in die Welterbebewerbung der Stadt mit ihrer historischen Wasserwirtschaft bei der Unesco einfließen.

Der Abschnitt, der sich unter dem Seniorenheim verbirgt, gehört zum Hinteren Lech und verlinkt das Wasserwerk am Roten Tor mit der Stadtmetzg. Markus Haller vom Tiefbauamt lässt eine Leiter hinunter. Es platscht, als seine oberschenkelhohen grünen Gummistiefel auf das Wasser treffen. Das steht heute jedoch nur bis an die Knöchel.

Drei Mal im Jahr ist das der Fall. Für Reparaturarbeiten an den Altstadtkanälen und den daran angrenzenden Häusern wird der Wasserstand gesenkt, erläutert Haller. Im Frühjahr ist die Wertachseite dran, im Herbst wird der Hochablass am Lech geschlossen sowie die Lochbachseite trocken gelegt. Daher sind derartige Ausflüge in die Unterwelt rar. Und räumlich begrenzt: Es gebe Abschnitte, „da muss man fast auf Knien in der Wathose gehen”, erzählt Haller.

Auch in diese engen Schächte wagt sich seit vergangenem Jahr Bernhard Häck vom Landesamt für Denkmalpflege. Er erforscht Augsburgs unterirdische Kanäle. Rund 20 Kilometer hat er bei seinen ersten Abstiegen erkundet, im September weilte er erneut unter Stadt. Häck förderte bislang Erstaunliches zutage: Alte Keramik, einen Schlagring, ja sogar Schädelknochen hat er entdeckt.

Derlei Kuriositäten gibt das glasklare Wasser, das gemächlich den mannshohen Gang entlang fließt, heute nicht Preis. Ein silbernes Streichmesser setzt langsam Rost an, eine unterarmlange Schraube ist davon bereits rundum bedeckt. Es werden die spektakulärsten Fundstücke bleiben. Der wahre Schatz sind ohnehin die Kanäle selbst. Unter dem Kloster Maria Stern etwa schlummerte ein Abschnitt, der auf nur 108 Metern Länge Spuren aus 14 verschiedenen Bauphasen aufweist, die sich über rund 700 Jahre erstrecken.

Die ältesten Strukturen unter dem Jakobs-Stift stammen wohl aus dem 15. Jahrhundert. An der Wand einer Kammer prangen sogar Höhlenmalereien. Große schwarze Lettern formen den Schriftzug: „Carlo, 1977 April 21”. Allerdings markierte damit kein Revoluzzer sein geheimes Quartier. Ein Arbeiter hat sich wohl bei einer der vielen Sanierungen verewigt, klärt Haller auf.

Fotos: David Libossek


Von David Libossek
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