Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 22.06.2009 17:03

Kulturschock der Liebe

<p>  <x_bildunterschr>  <b>Im Umfeld des Care-Zentrums </b> der Bruderschaft des Seligen Gerhard leben 250 000 Menschen. Die Aidsinfektionsrate liegt in dieser Region Südafrikas bei über 75 Prozent.  </x_bildunterschr>  </p>
<p> <x_bildunterschr> <b>Im Umfeld des Care-Zentrums </b> der Bruderschaft des Seligen Gerhard leben 250 000 Menschen. Die Aidsinfektionsrate liegt in dieser Region Südafrikas bei über 75 Prozent. </x_bildunterschr> </p>
<p> <x_bildunterschr> <b>Im Umfeld des Care-Zentrums </b> der Bruderschaft des Seligen Gerhard leben 250 000 Menschen. Die Aidsinfektionsrate liegt in dieser Region Südafrikas bei über 75 Prozent. </x_bildunterschr> </p>
<p> <x_bildunterschr> <b>Im Umfeld des Care-Zentrums </b> der Bruderschaft des Seligen Gerhard leben 250 000 Menschen. Die Aidsinfektionsrate liegt in dieser Region Südafrikas bei über 75 Prozent. </x_bildunterschr> </p>
<p> <x_bildunterschr> <b>Im Umfeld des Care-Zentrums </b> der Bruderschaft des Seligen Gerhard leben 250 000 Menschen. Die Aidsinfektionsrate liegt in dieser Region Südafrikas bei über 75 Prozent. </x_bildunterschr> </p>

Pater Gerhard Lagleder ist in Regensburg aufgewachsen, hat dort Theologie studiert und das Priesterseminar besucht. 1982 trat er in St. Ottilien in den Orden der Missionsbenediktiner ein. Dieser Tage besucht er seine Schwester Mechthilde Lagleder, die in Neuburg lebt und in Aichach arbeitet, und ihrem Bruder bei dieser Gelegenheit gleich die Paarstadt zeigt.

Welche Dynamik Pater Gerhards Arbeit in der Gemeinde Mandeni mit den Jahren bekommen hat, war 1987 noch nicht abzusehen. Der Hauptgrund dafür heißt Aids. Die Infektionskrankheit erreichte erst Mitte der 90er Jahre in größerem Ausmaß das Land und rafft seither die Menschen dahin. Darauf musste man reagieren: „Wenn die Leute während der Predigt sterben, hilft die beste Predigt nichts“, bringt es der 53-Jährige, der fließend Zulu spricht, auf den Punkt. Heute umfasst das Hilfszentrum das größte Hospiz in Südafrika, dazu ein Kinderheim und eine Klinik für unterernährte Kinder sowie medizinische Hilfsleistungen. Der Ausgangspunkt war jedoch die Hospizarbeit. „Wir haben uns um Menschen gekümmert, um die sich sonst keiner gekümmert hat.“ Denn die Zulu glauben, dass Krankheiten die Folge eines bösen Zaubers sind, der sich durch Kontakt zu einem Infizierten auf den Pflegenden übertragen kann.

Das Problem hat in der Region um Mandeni, das im Osten Südafrikas liegt, dramatische Ausmaße angenommen: Mindestens drei Viertel der Bevölkerung dort sind mit dem HI-Virus infiziert – Tendenz noch immer steigend. Manchmal sterben an einem Tag fünf Menschen im Hospiz des Blessed Gérard’s Care Centre, und manchmal „belegen wir ein Bett neu, dass noch gar nicht ganz kalt ist“, berichtet Pater Gerhard. In Mandeni leben 10 000 Menschen, aber im Umland sind es etwa 250 000, für die es kein Krankenhaus, keine Behinderteneinrichtung oder ähnliches gibt, sondern nur einen Gesundheitsbasisdienst. Nicht für alle findet sich folglich ein Platz im Hospiz, doch „wir weisen keinen ab, weil wir auch Hilfe bei der häuslichen Pflege anbieten. Wenn dann ein Bett frei wird, entscheiden wir, wer es bekommt.“ Zum Stab der Helfer gehören 70 Hauptamtliche und jeden Tag arbeiten 50 bis 60 Ehrenamtliche mit. Tief geschockt war Pater Gerhard, als seine Geschäftsführerin vor über einem Jahr bei einem Raubüberfall getötet wurde. Überhaupt sei Gewalt ein großes Thema in einem Land, in dem ein Menschenleben nichts wert ist. Zuletzt wurde ein Fahrzeug der Organisation entführt.

Im Kinderheim haben viele Aidswaisen Unterschlupf gefunden, deren Väter sich aus dem Staub gemacht haben und deren Mütter an der Krankheit gestorben sind. „Meine Kinder“ nennt sie Pater Gerhard. Die beiden Ältesten sind jetzt 16 und 17 Jahre alt. Um ihnen eine Perspektive zu geben, sollen Außenwohngruppen ins Leben gerufen werden, die wie kleine Familien funktionieren. Dafür will die Stiftung zwei Häuser kaufen, wofür wiederum Geld benötigt wird, das wie bei jedem Hilfsprojekt knapp ist. Ein Aidskranker kostet mit Medikamenten etwa 150 Euro am Tag. Zwei Drittel dieser Summe kommen von den USA, die damit die Aidsbekämpfung unterstützen. Allerdings hat das Land jetzt das Budget gedeckelt. Der Rest wird mit Spenden finanziert, wobei Pater Gerhard stolz darauf ist, dass ein Drittel der Spenden aus Südafrika selbst kommt.

Über 600 Menschen werden laufend von der Bruderschaft betreut, deren einziger deutscher Mitarbeiter Pater Gerhard ist. 200 dieser Menschen erhalten Aidsmedikamente, die wegen ihrer Nebenwirkungen erst eingesetzt werden, wenn der Gesundheitszustand „schlecht genug“ ist. Die Medikamente verlängern das Leben eines Aidspatienten um bis zu 20 oder 25 Jahre, was schlicht bedeutet, dass infizierte Eltern ihre Kindern noch großziehen können.

Die Mission läuft sozusagen nebenher. Denn um mit den Zulu in Kontakt zu kommen, um ihnen Details zu der Krankheit und den Medikamenten zu vermitteln, muss man ihre Welt kennen, ihre traditionellen Glaubensvorstellungen, ihre Mythologie und ihre Ängste vor bösem Zauber oder ihren Glauben an Geisterbeschwörung. „Die Zulu leben in einem anhaltenden Zustand der Angst“, beschreibt Pater Gerhard. „Hier bieten wir eine Befreiung an und sagen: Jesus hat mehr Kraft als all die bösen Geister. Das ist die Mission. Und dass wir das Wort Gottes einfach in die Tat umsetzen und sich die Leute fragen: Warum tut der das?“ Wobei Pater Gerhard betont, dass „wir keine Seelenfänger“ sind.

Ein wichtiges Thema rund um Aids ist immer die Aufklärung. Auch hier bemüht sich die Bruderschaft, allerdings räumt Pater Gerhard ein, dass es schwer ist, die Menschen damit wirklich zu erreichen. Auf jeden Fall seien Kondome keine Lösung, die Bruderschaft bietet auch keine an: „Es wurden tonnenweise Kondome unters Volk geworfen, aber die Zulu wollten sie nicht.“ Das liege unter anderem daran, dass Kinder ein Beweis der eigenen Männlichkeit seien und zudem als Altersvorsorge angesehen würden.

Ein weiteres Problem sei die Sexualmoral. Die habe nichts mit jener Promiskuität zu tun, der andernorts zum privaten Vergnügen gefrönt werde. Vielmehr verfügten die meisten Frauen über kein eigenes Einkommen. Sie lassen sich zeitgleich von mehreren Liebhabern aushalten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Männer wiederum unterhielten oftmals mehrere Beziehungen – permanenter Wechsel inklusive. Das bedeutet, dass nicht weniger als ein gesellschaftlicher Wandel nötig ist, um die Aidsproblematik in den Griff zu bekommen, zumal die Infektionsraten momentan noch immer im Steigen begriffen sind.

Natürlich zieht Pater Gerhard eine starke Motivation aus dem Glauben. Aber ist er angesichts dieses überwältigenden Problems nicht doch manchmal der Resignation nahe? „Wenn mir solche Gedanken in den Sinn kommen, frage ich mich immer: Wie ging es den Leuten bevor wir mit dieser Arbeit angefangen haben? Sie lagen in irgendwelchen Hütten, verwahrlost, wundgelegen in den eigenen Fäkalien und erleben bei uns eine Art Kulturschock der Liebe. Es ist unendlich viel wert, wenn jemand in Frieden sterben kann. Am Weltaidstag feiern wir ein Fest der Liebe. Dazu laden wir alle Patienten ein und wenn ich da in die Runde schaue, dann sehe ich 150 oder 200 Menschen, die nicht mehr leben würden, wenn wir nicht hier wären. Das ist ein ungeheurer Kraftquell.“ Hintergrund: Das Blessed Gérard’s Care-Zentrum in Südafrika beherbergt ein Hospiz mit 40 Betten und ein Kinderheim mit 50 Betten. Hinzu kommt eine Station für die Medikation von Aidskranken mit Hoch-aktiver anti-retroviraler Therapie, die das Leben der Patienten um 20 bis 25 Jahre verlängern kann. Außerdem existiert eine Klinik für unterernährte Kinder. Weil aidskranke Frauen ihre Babys, von denen zwei Drittel ohne HI-Virus geboren werden, wegen der Ansteckungsgefahr nicht stillen dürfen, werden sie mit Babynahrung versorgt. Die wird oft zu dünn angerührt, sodass viele Kinder unter Unterernährung und Eiweißmangelkrankheiten leiden. Ferner gehört zum Hilfsangebot ein Erste-Hilfe-Dienst. Bedürftige Schüler und Studenten unterstützt die Bruderschaft mit Stipendien, weil es in Südafrika keine Lehrmittelfreiheit gibt. Damit ist nur den Kindern reicher Eltern ein Studium möglich. Das Hilfsprojekt wird zu etwa zwei Dritteln von den USA finanziert. Der Rest muss über Spenden aufgebracht werden.


Von CLautenbacher
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