Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 27.07.2010 11:47

Auf der Suche nach den Wurzeln

<p> <x_bildunterschr> <b>Karl Wolfs Mutter  </b>wollte nicht, dass sein Vater (rechts) seine Familie in Puerto Rico verlässt. Statt dessen zog sie ihn alleine groß, Carlos Guzman ging zurück zu seiner Frau.  </x_bildunterschr> </p>
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<p> <x_bildunterschr> <b>Karl Wolfs Mutter </b>wollte nicht, dass sein Vater (rechts) seine Familie in Puerto Rico verlässt. Statt dessen zog sie ihn alleine groß, Carlos Guzman ging zurück zu seiner Frau. </x_bildunterschr> </p>
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Es ist eine unglaubliche Geschichte, die Karl Wolf zu erzählen hat. Sie beginnt im Jahr 1954 in Ansbach. Dort lebt seine geschiedene Mutter allein mit einem kleinen Kind in der amerikanischen Besatzungszone. Sie verliebt sich in einen jungen Mann, Carlos Melendez Guzman, der als Koch auf dem US-Stützpunkt arbeitet, die beiden bekommen ein Kind. Eine Heirat kommt nicht in Frage: Der Mann hat schon eine Frau und ein Kind in Puerto Rico. Trotzdem will er Karl Wolfs Mutter mitnehmen, als er nach Frankreich versetzt wird. Aber sie schickt ihn weg, zurück zu seiner Familie, zu der er in ihren Augen gehört. Er hat inzwischen seiner Frau den Seitensprung gestanden und weil Karl Wolfs Mutter es schwer hat, mit den beiden Kindern über die Runden zu kommen, willigt diese ein, den Sohn ihres Mannes mit großzuziehen. Doch das will die Mutter nicht. Sie behält ihren Sohn bei sich und zieht bald danach nach Aichach, wo ihr Bruder wohnt.

So wächst Karl Wolf ohne Vater auf, fragt immer wieder nach ihm, aber die Mutter blockt ab. Als er heiratet, schickt er einen Brief mit Fotos an die letzte bekannte Adresse, doch der Umschlag kommt zurück. Unzustellbar. Doch Karl Wolf kann nicht aufgeben. Die Frage nach dem Vater ist die Frage nach den eigenen Wurzeln und so wird der Wunsch, ihn zu finden über die Jahre hinweg nur größer statt kleiner. Die ganze Zeit verbringt er auf einem Bauernhof in Ecknach, „seit 40 Jahren bin ich hier Kuhschweizer“, sprudelt es aus ihm heraus. Sein Traumberuf.

Eines Tages gibt ihm eine Bekannte einen wertvollen Tipp: In Frankfurt gibt es eine Organisation, die sich auf Personensuche spezialisiert hat. Familie international vermittelt Adoptionen und hilft, weltweit nach vermissten Angehörigen zu suchen. Karl Wolf schickt 2007 die vom damaligen Bataillonskommandanten unterzeichnete Vaterschaftserklärung nach Frankfurt. Ein halbes Jahr später kommt die Antwort: „Wir haben ihre Familie gefunden.“ Aber es gibt auch eine schlimme Nachricht: Ein Jahr zuvor ist Karl Wolfs Vater gestorben. Danach gibt es einen ersten brieflichen Kontakt mit den Geschwistern. Doch danach kommt kein Lebenszeichen mehr von ihnen.

Als die Suche wieder zu stocken droht, bietet ihm sein Sohn Matthias (26) an: „Ich fliege mit, wenn du dorthin willst.“ Da fängt Karl Wolf endgültig Feuer. Sie buchen einen Flug für den 28. Februar. Jeder Versuch, vorher noch Kontakt herzustellen, scheitert. Zuletzt schickt er noch einen Brief mit seinen Reisedaten, läuft bis zum Abreisetag jeden Tag hoffnungsvoll zum Briefkasten – aber es kommt nichts.

Sie fliegen trotzdem, und allein über den Flug – es ist der erste in Karl Wolfs Leben – kann der quirlige Ecknacher abendfüllend erzählen: von der g’schnappigen Angestellten am Check-in-Schalter, die auf einem Dokument besteht, das die beiden nicht dabei haben; von der unbändigen Flugangst, als die Maschine nach dem Start in einer steilen Kurve abdreht, „und ich dachte jetzt fall’ ich runter“; von der Zollkontrole mit dem vielen unverständlichen spanischen Gerede. „Wenn i des erzähl’ regt’s mi immer no auf.“

Dann sind sie endlich da, werden noch auf dem Flughafen von einem Mann angesprochen, der wissen will, ob er Karl Wolf gegenüberstehe. Schon kommen seine drei Schwestern auf ihn zu, ein Schwager und Neffen. Es dauert nur wenige Minuten bis das Eis bricht und alle sich in den Armen liegen und die Ankunft des grande hermano, des großen Bruders, feiern. Von da an verbringt die frisch zusammengeführte Familie jeden Tag miteinander. Auch die Mutter seiner Geschwister erkennt ihn an der Ähnlichkeit sofort und schließt den Stiefsohn in die Arme.

Tag für Tag holen die Geschwister ihren neuen Bruder ab, laden ihn zu sich nach Hause ein, zeigen ihm die Stadt und das Umland. Außerdem steht eine Feier ins Haus: die Mutter wird 77 Jahre alt. Deshalb kommen auch die Schwester und der Bruder, die in Texas leben, nach Puerto Rico. Karl Wolf schwärmt immer noch davon, wie herzlich und selbstverständlich ihn seine Familie aufgenommen hat.

Viel wird mit Händen und Füßen geredet, denn Karl Wolf spricht kein Wort Spanisch, sein Sohn Matthias versucht sich in der Zeit als Englisch-Übersetzer. Für eine große Feier mit 40 Leuten samt einer Heerschar von Nichten und Neffen engagiert die Familie sogar einen eigenen Dolmetscher, damit Karl Wolf mit allen reden kann. „Ich hatte doch damit gerechnet, dass ich vor verschlossener Türe stehe. Nie habe ich eine solche Herzlichkeit erwartet.“

Es kommt heraus, dass sein Vater immer wieder den Kontakt zu ihm herstellen wollte und sein ältester Bruder ebenfalls nach ihm gesucht hat. Er war irrtümlich aber davon ausgegangen, dass Karl Wolf den Nachnamen des Vaters, Guzman, trägt.

Den aufregenden und mitunter tränenreichen Tagen der ersten Begegnung, der Verblüffung über die Ähnlichkeit von Karl Wolf mit seinem Vater, den Ausflügen, den opulenten Essen und vielen Gesprächen folgt ein schwerer Gang: Als alle Geschwister da sind, gehen sie gemeinsam zum Grab des Vaters. Schon vor den Friedhofsmauern kann es Karl Wolf kaum noch aushalten, aber seine Geschwister leisten ihm Beistand. Und dann, mit 55 Jahren, steht er am Grab seines Vaters. „Das war so schwer für mich. Ich hätte so gern gewollt, dass er mich ein einziges Mal im Arm hält.“ Vom Grab nimmt er einen Kieselstein mit, den er sich später zu einem Anhänger fassen lässt. Der Besuch auf dem Friedhof war wichtig, „um meinen inneren Frieden zu machen“. Das bestätigt auch seine Frau Hildegard: „Er hat das einfach gebraucht.“

An seinem letzten Tag revanchiert sich Karl Wolf bei der neuen Familie mit 30 Wiener Schnitzeln und zweierlei Kartoffelsalat. Zum Abschied schenken sie ihm eine Fotomontage: ein Familienbild der Geschwister, auf dem auch der verstorbene Bruder und der Vater abgebildet sind. Und Karl Wolf, der jetzt auch zur Familie gehört. Das Bild hängt seither in der Küche in Ecknach und erinnert an diese 14 Tage, „die waren der Wahnsinn, das war unvergesslich“. Sie haben Karl Wolf gebracht, was er ein Leben lang gesucht hat: Einen Hinweis auf seine Wurzeln und eine Erklärung dafür, „warum ich so bin wie ich bin“ – so temperamentvoll, so offenherzig und auch so gläubig.


Von CLautenbacher
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