Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 26.02.2019 12:00

Liebesgrüße aus Auschwitz

Nahm sich viel Zeit   für die Fragen der Schüler am DHG: Autorin Lena Gorelik.	Foto: Thomas Winter (Foto: Thomas Winter)
Nahm sich viel Zeit für die Fragen der Schüler am DHG: Autorin Lena Gorelik. Foto: Thomas Winter (Foto: Thomas Winter)
Nahm sich viel Zeit für die Fragen der Schüler am DHG: Autorin Lena Gorelik. Foto: Thomas Winter (Foto: Thomas Winter)
Nahm sich viel Zeit für die Fragen der Schüler am DHG: Autorin Lena Gorelik. Foto: Thomas Winter (Foto: Thomas Winter)
Nahm sich viel Zeit für die Fragen der Schüler am DHG: Autorin Lena Gorelik. Foto: Thomas Winter (Foto: Thomas Winter)

Die Zuhörer in der neuen Aula waren quasi genau Lena Goreliks Zielgruppe: Schüler zwischen 15 und 17 Jahren (Neunt- und Zehntklässler). Durchaus gespannt hörten sie dem fast einstündigen Vortrag zu. Anschließend stellten sie der 38-jährigen Autorin, die in St. Petersburg geboren wurde und heute in München lebt, gut ein Dutzend Fragen. Dabei ging es um die Sprache des Buches, die Arbeit eines Schriftstellers und einen zentralen Schauplatz des Romans: das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz im heutigen Polen.

Dorthin führt eine Klassenfahrt die drei Protagonisten von „Mehr Schwarz als Lila”. Gorelik, die Tochter russisch-jüdischer Eltern, hat den Ort selbst besucht. Die Perspektive ihrer Hauptfigur dient ihr dabei wie eine Filter-App für Smartphone-Bilder: Der Schrecken von rund 1,6 Millionen ermordeter Menschen wird überlagert, verzerrt vom Gefühlschaos des Trios.

Einst konnte die Freunde, die ihr Außenseitertum stolz pflegen wie ein seltenes Brauchtum, niemand trennen. Dann taucht plötzlich Johnny Spitzing auf, ein junger Referendar. Die 17-jährige Alex verliebt sich in den jungen Lehrer, durch die neue Beziehungskonstellation erhält die Freundschaftsdreierkiste Risse.

Vor der Kulisse des ehemaligen KZ küsst Alex schließlich, von lauter Gefühlen übermannt, Paul. Jemand fotografiert sie, das Bild geistert durchs Netz, und plötzlich stehen die drei Heranwachsenden im Zentrum einer Debatte, die sich um die „Jugend von heute” dreht, und darum, was man darf und was nicht.

Nach ihrer Lesung berichtete Lena Gorelik, wie sie draufgekommen ist, ihre Protagonisten auf Klassenfahrt nach Polen zu schicken. „Ich habe einen Essay für einen Band über Erinnerungskultur geschrieben, als mir aufgefallen ist, dass ich mit Abstand die jüngste Autorin des Bandes war”, erklärte die 38-Jährige in der gut gefüllten Aula des DHG. Weil sie gerade an ihrem Roman über das Außenseiter-Trio schrieb, überlegte sie: Wie würden sich die jungen Erwachsenen mit dem Thema auseinandersetzen?

Inwieweit eine Lesung Schüler berührt, lässt sich schwer sagen. Auch der Lärm- beziehungsweise Unruhepegel ist kein verlässlicher Gradmesser, weil eine mucksmäuschenstille Aula auch bedeuten kann: Die Schüler haben auf Autopilot gestellt und nur ihre Klassenkameraden links und rechts neben ihnen hindern sie daran einzunicken. Beim Vortrag von Lena Gorelik konnte man dennoch feststellen, dass viele der 9. und 10. Klässler aufmerksam zuhörten. Denn in ihrem Roman beweist sie ein gutes Gespür für die Lebenswirklichkeit von Heranwachsenden, beschreibt gekonnt das Soziotop Schule und sein scheinbar zeitloses Personal: die überengagierten Junglehrer, die desillusionierten Pädagogik-Veteranen, die Klassenclowns und die Klassencoolen - die heute vermutlich nur anders heißen.

„Ich erinnere mich gerne an diese Zeit, als das Hier und Jetzt am wichtigsten gewesen ist”, beantwortet die Autorin die Frage eines Schülers, welchen persönlichen Bezug sie zu ihren Figuren hat. Silke Frauenholz-Funk vom Fachbereich Deutsch, die die Lesung organisiert hat, erkundigte sich nach der Sprache des Buches: eine Mischung aus gehobenem Stil und Jugendsprache.

Es sei ihr nicht wichtig gewesen, besonders jugendnah zu klingen, so Lena Gorelik. „Ich suche eher nach dem richtigen Ton.” Um den zu finden, habe sie von den ersten 30 Seiten sieben Versionen angefertigt. „All die Blätter habe ich dann zerschnitten, im Wohnzimmer verteilt und alles so zusammengesetzt, bis der Ton stimmte”, erklärt sie ihre spezielle Puzzle-Methode. Angehenden Autoren rät sie, viel zu lesen und zu schreiben und „einen eigenen Sound zu finden”.

Übrigens, zwei Jahre nach „Mehr Schwarz als Lila” hat sie vor zwei Wochen mit einem neuen Roman begonnen. Worüber sie schreibt, wollte sie nicht verraten, nur wie und wo. „Anfangs muss ich täglich zwei Stunden schreiben, um nicht den Faden zu verlieren”, erzählt sie.

Und wo das geschieht? In Cafés, an Bahnhöfen oder Flughäfen - nur nicht daheim, wo es ruhig ist. Wer Lena Gorelik also demnächst an einem Bahnsteig oder im Kaffeehaus entdeckt: „Bitte nicht stören! Die Autorin arbeitet.” Am liebsten schreibt sie in Cafés


Von Thomas Winter
north