Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 10.12.2018 12:00

Vivaldi statt Ritalin: Hilfe durch Hörwahrnehmung

Florian Röhling beim Puzzeln.  Das Gerät zum Training der Gehörwahrnehmung ermöglicht ihm ein konzentriertes Arbeiten. Die Stiftung „Bürger helfen Bürgern” unterstützt die Lebenshilfe bei der Anschaffung der Geräte, mit denen erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. 	Foto: Karina Moser (Foto: Karina Moser)
Florian Röhling beim Puzzeln. Das Gerät zum Training der Gehörwahrnehmung ermöglicht ihm ein konzentriertes Arbeiten. Die Stiftung „Bürger helfen Bürgern” unterstützt die Lebenshilfe bei der Anschaffung der Geräte, mit denen erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Foto: Karina Moser (Foto: Karina Moser)
Florian Röhling beim Puzzeln. Das Gerät zum Training der Gehörwahrnehmung ermöglicht ihm ein konzentriertes Arbeiten. Die Stiftung „Bürger helfen Bürgern” unterstützt die Lebenshilfe bei der Anschaffung der Geräte, mit denen erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Foto: Karina Moser (Foto: Karina Moser)
Florian Röhling beim Puzzeln. Das Gerät zum Training der Gehörwahrnehmung ermöglicht ihm ein konzentriertes Arbeiten. Die Stiftung „Bürger helfen Bürgern” unterstützt die Lebenshilfe bei der Anschaffung der Geräte, mit denen erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Foto: Karina Moser (Foto: Karina Moser)
Florian Röhling beim Puzzeln. Das Gerät zum Training der Gehörwahrnehmung ermöglicht ihm ein konzentriertes Arbeiten. Die Stiftung „Bürger helfen Bürgern” unterstützt die Lebenshilfe bei der Anschaffung der Geräte, mit denen erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Foto: Karina Moser (Foto: Karina Moser)

Die Ergotherapeutin Moser und Mandy Römer, stellvertretende Leiterin der Heilpägogischen Tagesstätte der Aichacher Lebenshilfe, können von vielen solchen Beispielen erzählen: Kinder, die auf einmal motiviert und ruhig arbeiten, bei Ausmalaufgaben plötzlich die Linien einhalten können, oder lange an Puzzlen arbeiten, was sie vorher verweigert hatten. Das alles sind die erstaunlichen Ergebnisse, die man bei der Lebenshilfe mit dem Einsatz von Trainingsgeräten für die Hörwahrnehmung erzielt.

Karina Moser schätzt die Geräte unter anderem, weil sie sehr breit einsetzbar sind. Etwa bei Kindern mit Sprach- und Sprechstörungen, mit Rechtschreib- oder Rechenschwächen, mit Konzentrationsschwächen, mit Störungen der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung bis hin zu schweren Fällen aus den Autismusspektrum. Und was sie und ihre Kollegen fast noch mehr schätzen: Die ersten Fortschritte stellen sich schnell ein, oft schon nach der ersten 30-minütigen Übung mit den Trainingsgeräten.

Was verbirgt sich aber nun hinter dieser erstaunlichen Therapie? Im Grunde ein CD-Player und ein Apparat, der durch die Veränderung der Musik, durch eine Filterung von Hochtönen und die Betonung bestimmter Frequenzen einzelne Bereiche des Gehirns positiv beeinflusst, die Ausschüttung von Botenstoffen wie Dopamin im Gehirn sowie die Sprachverarbeitung aktiviert. Indem das Gehör durch die Übungen sensibler wird, werden Emotionen ausgeglichen und die Verbindung von Gehör und Gehirn gestärkt.

Was sich kompliziert anhört, ist im Selbstversuch zunächst höchst unspektakulär. Man hat einen Kopfhörer auf und hört klassische Musik: Vivaldi, Bach oder Mozart. Die eigne sich für das Wahrnehmungstraining besonders gut, weil sie alle Frequenzbereiche abdecke, erklärt Karina Moser. Dann ändert sie, für den Hörer kaum merklich, die Frequenz. „Jetzt wird die Wahrnehmung der Laute F und W unterstützt”, erklärt sie. Alle Konsonanten sind bestimmten Frequenzen zuordenbar, so dass bei Kindern, die Probleme mit dem Sprechen, Lesen oder Schreiben haben, ihre Schwächen gezielt trainiert werden können.

Vor allem setzt die Ergotherapeutin aber das „laterale Hochtontraining” ein. Dabei wandert die Musik im Kopfhörer in bestimmten Intervallen, die über einen Zeitraum von drei Monaten immer mehr gesteigert werden, von einem Ohr zum anderen. Damit wird die enorm wichtige Vernetzung der beiden Gehirnhälften trainiert.

Das Ergebnis? Die Kinder werden ruhiger, aufmerksamer, ausgeglichener, sie hören genauer zu, nehmen sich selber besser wahr, die Konzentrationsfähigkeit verbessert sich, die Kinder können sich ausdauernder mit etwas beschäftigen, sogar das Schriftbild verbessert sich. Bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS) kann sogar auf das Medikament Ritalin verzichtet oder zumindest die Dosierung stark reduziert werden.

Spätestens an diesem Punkt, angesichts der hohen Kosten für Medikamente, die unter Umständen viele Jahre eingenommen werden, wird es absurd, dass die Krankenkassen das Hörwahrnehmungstraining nicht zahlen. Rechnen würde sich das schnell, ein Gerät kostet knapp 400 Euro.

Die Aichacher Stiftung „Bürger helfen Bürgern” ist in diesem Jahr deshalb schon eingesprungen und hat der Lebenshilfe bei der Anschaffung geholfen. Wobei die Einrichtung angesichts von zwölf Gruppen in der Heilpädagogischen Tagesstätte und zwei Gruppen in der Sonderpädagogischen Tagesstätte nicht genug Geräte haben kann.

Damit die Erfolge nachhaltig sind, reicht das Training in der einmal wöchentlich stattfindenden Therapiestunde bei Karina Moser nicht aus. Am besten üben die Kinder mit dem Gerät auch in den Gruppen täglich mindestens eine halbe Stunde.

Das geht grundsätzlich auch zuhause. Während Bach oder Vivaldi in bestimmten Frequenzen zu hören sind, kann man auch spielen, malen, lesen oder sogar schlafen. Auch mit Körperübungen kann das Hörtraining kombiniert werden.

Für Kinder mit schweren Beeinträchtigungen, die etwa Kopfhörer verweigern, können ähnliche Effekte mit einer Klangfühlbox erzielt werden. Auf der sitzen oder stehen die Kinder dann, und die Box wandelt Musik in Vibration um. Die Kinder fühlen und spüren so Musik, ihre Körperwahrnehmung ändert sich dadurch.

Für Mandy Römer und Karina Moser ist klar: Sie wünschen sich am besten für jede Gruppe ein Trainingsgerät, um möglichst vielen Kindern die Erfolge und Fortschritte zu ermöglichen, die ihr Leben und das ihrer Familie positiv verändern können - einfach dadurch, dass sie Bach und Vivaldi auf eine etwas andere Art hören.


Von Berndt Herrmann
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