Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 17.11.2018 12:00

Artensterben: „Wir müssen alle umdenken”

Blühstreifen entstehen  , wenn Radwege gebaut werden, wie hier kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen in Richtung Arnhofen. Diese sollten nur durch Mahd, nicht durch Mulchen gepflegt werden.
Blühstreifen entstehen , wenn Radwege gebaut werden, wie hier kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen in Richtung Arnhofen. Diese sollten nur durch Mahd, nicht durch Mulchen gepflegt werden.
Blühstreifen entstehen , wenn Radwege gebaut werden, wie hier kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen in Richtung Arnhofen. Diese sollten nur durch Mahd, nicht durch Mulchen gepflegt werden.
Blühstreifen entstehen , wenn Radwege gebaut werden, wie hier kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen in Richtung Arnhofen. Diese sollten nur durch Mahd, nicht durch Mulchen gepflegt werden.
Blühstreifen entstehen , wenn Radwege gebaut werden, wie hier kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen in Richtung Arnhofen. Diese sollten nur durch Mahd, nicht durch Mulchen gepflegt werden.

Schwärme von Vögeln über der Urflusslandschaft des Lechs zeigt eine alte Aufnahme. Auf Landkarten aus der Zeit um 1900 ist ein zwei Kilometer breiter Fluss zu sehen - ungebändigt, zerstörerisch für Menschenwerk, aber segensreich für eine riesige Artenvielfalt. Schriftliche Belege zeugen von 10 000 gefangenen Nasen auf ihrem Zug zu ihren Laichquellflüssen vorbei an Augsburg, der Huchen war einst ein Massenfisch in diesen Gewässern.

Heute sind beide Arten und mit ihnen weitere Kieslaicher vom Aussterben bedroht. Schwaben sei damals ein Hotspot der Artenvielfalt gewesen. „Aus dieser Region ist ein bedrohter Hotspot geworden”, philosophierte der hochgeschätzte Experte und gestand: „Es ist wenig erbaulich, was ich ihnen hier erzähle.” 44 Prozent (auf der Vorwarnliste sogar 54 Prozent) aller Brutvögel stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere, 43 (52) Prozent aller Libellen, 44 (55) Prozent aller Heuschrecken und sogar knapp 60 (68) Prozent aller Tagfalter.

Die Politik hatte mit der Bayerischen Biodiversitätsstrategie reagiert. Mit ihr sollte bis 2020 die Gefährdungssituation von mehr als 50 Prozent der Rote-Liste-Arten verbessert werden. Nun sei abzusehen, dass dieses Vorhaben kläglich scheitern wird, lässt Pfeuffer keinen Zweifel am Misslingen der Initiative. Wie sollte sich auch etwas ändern? Weder die „gnadenlose Verbauung des Lechs” ist rückgängig zu machen, noch wurde die Bewirtschaftung der Gewässerrandstreifen in Bayern eingeschränkt und die neue Staatsregierung signalisiert ein „Weiter so”.

Hoffnung setzt Pfeuffer auf „die Jahrhundertchance Licca liber - freier Lech”: „Sie wird uns den alten Lech nicht zurückbringen, aber vielleicht einen natürlicheren Fluss mit eingeschränkter Dynamik.” Für viele Arten kommt das Projekt schon jetzt zu spät. Als Beispiel nannte der pensionierte Arzt einige erloschene Vorkommen an Heuschrecken. Darunter etwa die Flussstrandschrecke, die ihren einzigen Standort in Deutschland im Lechbett bei Kissing hatte.

Stellvertretender Landrat Peter Feile lobte angesichts der bedrückenden Meldungen den aus dem „Forum Zukunft” hervorgegangenen Arbeitskreis Biodiversität als „ein Netzwerk für bürgerliches Engagement im Landkreis, welches unterstützt wird von der Gebietskörperschaft Landkreis Aichach-Friedberg, der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt und dem Landschaftspflegeverband.”

Die frisch in den Landtag gewählte Grünen-Abgeordnete Christina Haubrich forderte: „Wir müssen alle umdenken, um das Artensterben zu stoppen.” Nur mit ein paar Blühstreifen werde es nicht getan sein. Organisator des Zweiten Biodiversitätstages in Blumenthal und Leiter des Arbeitskreises Biodiversität ist der Kissinger Biologe Wolfhard von Thienen. Er fand, die Politik reagiere schon auf das Artensterben. „Da sind gute Ansätze wie der Blühpakt Bayern, die auch in die Gesellschaft hinein Wirkung zeigen.” Außerdem gingen vom Arbeitskreis inzwischen die Initiativen „Wittelsbacher Land summt” oder „Wittelsbacher Land blüht” aus. Das Forum Zukunft habe ein Organisationsteam eingesetzt, welches die Bewerbung für die Öko-Modellregion Paartal erfolgreich auf den Weg gebracht habe. Immer wieder steht in Sachen Artenschwund die Landwirtschaft im Fokus. Martin Schmid wies als stellvertretender Kreisobmann des Bauernverbandes darauf hin, dass Landwirte in Bayern durch privaten Einsatz allein einen zwei bis sechs Meter breiten und insgesamt zwölf Kilometer langen Blühstreifen gesät und gepflegt hätten. 800 000 Hektar Fläche stünden im Rahmen des Kulturlandschaftsprogramms unter strengen Auflagen im Sinne des Artenschutzes.

Stephan Kreppold als Vertreter der Biobauern ließ das so nicht stehen. Immerhin sorgten allein in Deutschland 30 000 Tonnen Agrargifte für einen Schub beim Artenschwund. Unter den 249 verschiedenen toxischen Präparaten werde derzeit über den Namen Glyphosat lediglich eine Stellvertreterdebatte geführt.

Vor allem falsche Bodenbearbeitung mit dessen Verdichtung als Folge und fehlender Humusaufbau führten dazu, dass mehr Stickstoff ausgebracht werden müsse, als der Boden aufnehmen könne.

„Bis zu 80 Kilogramm Stickstoff pro Hektar sickern aus ins Grund-, Trink- oder Oberflächenwasser und landen letztlich im Meer”, bilanzierte Kreppold und sprach von „500 Millionen Euro Verlust durch Überdüngung, eine Belastung für die Allgemeingüter wie die Artenvielfalt”.

Segensreich wäre eine Umstellung der Hälfte der Betriebe auf Bio. Der ehemalige bayerische Agrarminister Helmut Brunner wollte diese Entwicklung forcieren. Mit seinem Programm von 2014 wollte er bis 2020 zumindest 20 Prozent der Höfe auf Biobetrieb umgestellt sehen, habe aber dieses Ziel um 95 Prozent verfehlt. Hoffnung sah Kreppold in der Bewerbung des Paartals als Öko-Modellregion. Dort stehe man derzeit in der Auswahl „sechs aus 27”. Das heißt: 27 bayerische Landstriche haben sich auf die sechs zusätzlichen Modellregion-Plätze beworben.


Von Berndt Herrmann
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