Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 09.12.2017 12:00

Das Gesetz der Straße

Lenk- und Ruhezeiten  sollen Lkw-Fahrer schonen. Eine neue Regelung für die Wochenruhezeit wirft jedoch Fragen auf. 	Fotos: Bastian Brummer (Fotos: Bastian Brummer)
Lenk- und Ruhezeiten sollen Lkw-Fahrer schonen. Eine neue Regelung für die Wochenruhezeit wirft jedoch Fragen auf. Fotos: Bastian Brummer (Fotos: Bastian Brummer)
Lenk- und Ruhezeiten sollen Lkw-Fahrer schonen. Eine neue Regelung für die Wochenruhezeit wirft jedoch Fragen auf. Fotos: Bastian Brummer (Fotos: Bastian Brummer)
Lenk- und Ruhezeiten sollen Lkw-Fahrer schonen. Eine neue Regelung für die Wochenruhezeit wirft jedoch Fragen auf. Fotos: Bastian Brummer (Fotos: Bastian Brummer)
Lenk- und Ruhezeiten sollen Lkw-Fahrer schonen. Eine neue Regelung für die Wochenruhezeit wirft jedoch Fragen auf. Fotos: Bastian Brummer (Fotos: Bastian Brummer)

Es ist ein gewöhnlicher Donnerstag auf der A8. Lange Ruhezeiten hält heute niemand, dennoch halte ich Ausschau nach Lkw-Fahrern, die mir von ihrem Alltag erzählen. Den Greifswalder Thomas Wandersee zu finden war schwierig. Er ist der erste von knapp 40 Fernfahrern, der Deutsch spricht. Nach eineinhalb Stunden Suche auf drei Rastplätzen entlang der Autobahn treffe ich ihn. Zwei Brummifahrer aus Rumänien wollten zuvor mein Auto kaufen. Sie aßen Regensburger mit scharfem Senf, von Lenk- und Ruhezeiten erzählten sie mir nichts. Ein Litauer hatte mich gefragt, ob ich russisch spräche. Mein Nein hatte er mit einem Schulterzucken quittiert und mich weiter geschickt.

Wandersee ist Fernfahrer und war das auch in Deutschland lange gerne. Vieles habe sich aber geändert. Feste Lenk- und Ruhezeiten hält er für notwendig. Sie sollen verhindern, dass die Fernfahrer übermüdet am Steuer sitzen. „Wenn sich mal jeder daran halten würde”, fügt er an. Seit der Ostöffnung habe der Verkehr auf Deutschlands Fernstraßen massiv zugenommen, besonders der paneuropäische Gütertransport führt oft durch Deutschland. Tatsächlich registrierte die Autobahndirektion Südbayern im Jahr 2007 bei Adelzhausen noch rund 9000 Lastwägen am Tag. Im ersten Halbjahr 2017 waren es weit über 11 000. Hinzu kommen rund 80 000 Autos, die täglich über die A8 rauschen. Staus und Unfälle können die Folge sein, besonders wenn Müdigkeit ins Spiel kommt.

Klare Regelungen weisen sie dazu an, nicht mehr als neun Stunden täglich am Steuer zu sitzen. Auf jeweils viereinhalb Stunden Fahrt muss eine Pause von 45 Minuten folgen. Das erscheint sinnvoll. „Ist aber völlig unrealistisch”, erklärt ein Fahrer aus Reutlingen. „Früher war nicht alles besser”, meint er schmunzelnd. Aber die GPS-Überwachung raubt ein Freiheitsgefühl, das er selbst lange mit seinem Beruf in Verbindung brachte. „Mein Chef sieht heute genau, wann ich rausfahre. Hin und wieder muss man aufs Klo und das kann man sich nicht aussuchen.” Oft käme dann die Frage, wieso er jetzt schon wieder Pause macht, obwohl er vor einer Stunde erst eine hatte. Das aber ist nur die Spitze des Eisbergs. Stau und übermäßiger Verkehr machen nämlich auch die erlaubte Lenkzeit unverhältnismäßig, findet zumindest der Reutlinger. Es ist nämlich möglich, mehrere Stunden am Tag nicht zu fahren, sondern im Stau zu stehen. Strecke macht man dann keine.

Wöchentlich darf übrigens maximal 56 Stunden gefahren werden, in zwei aufeinanderfolgenden Wochen hingegen nur 90. Werden die 56 Stunden Fahrzeit in einer Woche voll ausgeschöpft, muss in der Folgewoche weniger gefahren werden. Doch das Ziel der Fahrer ist: Strecke machen. Viele Betriebe warten auf die Ladung und takten Arbeitsschritte genau. „Nein, ich hab keine Zeit, ich muss weiter”, meint ein Fernfahrer aus Altötting unruhig. Ein Mann aus Dingolfing schimpft. „Die sollten mal unseren Job machen, um zu sehen, wie realistisch ihre Vorgaben sind.”

Damit meint der Trucker die Behörden und den Gesetzgeber. Die moderne Arbeitsweise von Betrieben kritisiert er. „Heute leistet sich kaum einer Lagerflächen”, erklärt der Fernfahrer. „Stattdessen ist die Ware auf der Straße und muss pünktlich sein.” Das Abladen muss in einem Zeitfenster von 30 Minuten geschehen, kommt der Fahrer nur eine Minute zu spät, kann es passieren, dass er mehrere Stunden warten muss. „Aber das ist gar nicht einfach bei unserem Verkehr”, schließt der Dingolfinger, bevor auch er weiter muss. Zeitdruck ist normal, besonders im Werktagsverkehr. An Feiertagen dürfen Lkw mit einem Gewicht von über siebeneinhalb Tonnen nur zwei Stunden lang auf die Autobahn. Von 22 bis 0 Uhr, und jede Woche muss eine Ruhezeit von 45 Stunden eingeschoben werden. Seit Mai 2017 darf die aber nur außerhalb des Fahrzeugs an einem Ort mit einer „geeigneten Schlafmöglichkeit” verbracht werden. In der Theorie klingt das sinnvoll. Am Adelzhausener Berg ist es noch früh. Viele Fahrer schlafen in kleinen Kabinen hinter dem Fahrersitz. Ihre Wochenruhezeit dürfen sie dort inzwischen nicht mehr verbringen. Aber wo sollen sie dann gehalten werden? Hier lächelt Wandersee kalt. Wer nicht im Fahrzeug schläft, kann zelten oder sich ein Hotel nehmen. „Das müsste aber der Vorgesetzte zahlen”, fügt der Trucker hinzu. Das sähen viele nicht ein. Noch dazu, weil Verstöße gegen die neue Regelung kaum geahndet werden. „Zumindest nicht bei Fahrern, die kein Deutsch verstehen”, meint Wandersee. Ich selbst merke, dass die Sprachbarriere ein Problem ist. Möglicherweise wollen sich Polizeibeamte nicht mit der Kontrolle von Fahrern beschäftigen, von denen sie nicht verstanden werden.

Das dementiert Manfred Gottschalk, Polizeihauptkommissar im Präsidium Schwaben-Nord. „Derzeit”, erklärt Gottschalk in einer E-Mail an unsere Zeitung, „fehlen zur Überwachung dieser Regelung noch entsprechende Ausführungsbestimmungen.” Die Polizei mache keinen Unterschied zwischen Deutschkundigen und anders sprechenden Fahrern. „Bei ausländischen Verkehrssündern wird die Anzeige zur Verfolgung an das Bundesamt für Güterverkehr gesandt”, erklärt Gottschalk. Dennoch fühlen sich viele deutsche Lkw-Fahrer abgehängt, benachteiligt gegenüber ausländischen Fahrern. „Lieber kassiere ich schnell ein saftiges Bußgeld von jemandem, den ich verstehe, als mich lange mit Fahrern zu beschäftigen, die keine Ahnung von dem haben, was ich ihnen erzähle”, umschreibt Wandersee seine Sicht auf die Dinge.

Doch er redet nicht schlecht über seinen Beruf. Er selbst ist am Wochenende zu Hause und nicht von der neuen Regelung betroffen. Zwar kennt er andere Probleme, wie die Schwierigkeit der Parkplatzsuche nach 18 Uhr. „Das sieht man allein hier auf der A8”, führt Wandersee aus. „Inzwischen haben wir sechs Fahrspuren, aber nicht unbedingt mehr Parkplätze. Wo soll ich mich denn hinstellen?” Die Frage lässt er offen und deutet auf eine lange Reihe an wartenden Lastwägen. Doch er hat bereits vieles von Europa gesehen. Seit über 20 Jahren ist er Fernfahrer. Früher transportierte er Lkw quer durch Europa. Seinen Sohn nahm er oft auf die Reise mit. „Acht Länder in zwei Wochen sieht man selten”, meint er schmunzelnd. Seine Fahrerkabine ist wohnlich eingerichtet. Hin und wieder schläft er dort. Seine Mittagspause verbringt er „auf einem richtigen Rastplatz”, um zu Essen und sich zu entspannen. Sein Beruf macht ihm Spaß, aber eines macht er deutlich: „Würde ich nur noch in Deutschland fahren, würde ich aufhören.” „Würde ich nur durch Deutschland fahren, würde ich aufhören


Von Bastian Brummer
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