Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 07.07.2015 12:00

„Es geht ums Überleben”

Fotos von Helfern der Aichacher Jemenhilfe   direkt aus der Millionen-Stadt Taiz. Die Lage ist kaum zu beschreiben.
Fotos von Helfern der Aichacher Jemenhilfe direkt aus der Millionen-Stadt Taiz. Die Lage ist kaum zu beschreiben.
Fotos von Helfern der Aichacher Jemenhilfe direkt aus der Millionen-Stadt Taiz. Die Lage ist kaum zu beschreiben.
Fotos von Helfern der Aichacher Jemenhilfe direkt aus der Millionen-Stadt Taiz. Die Lage ist kaum zu beschreiben.
Fotos von Helfern der Aichacher Jemenhilfe direkt aus der Millionen-Stadt Taiz. Die Lage ist kaum zu beschreiben.

Die seit 15 Jahren bestehende Aichacher Organisation betreibt unter anderem eine Krankenstation in dem Dorf Al Mihlaf und betreut über die Jemen-Kinderhilfe Kinder und Jugendliche. Über Handy hat Aenne Rappel Kontakt zu Helfern und Schützlingen, die in einer Wohnung der Kinderhilfe in der Millionen-Stadt Taiz Unterschlupf gefunden haben. Was sie von dort hört und sieht, sind Nachrichten aus der Hölle.

Seit die schiitischen Huthi-Rebellen einen Großteil des Landes unter ihre Kontrolle gebracht haben und eine von Saudi-Arabien geführte Koalition seit März Luftangriffe fliegt, sind die Menschen zwischen die Fronten dieses Stellvertreterkrieges zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien geraten.

Die Bomben zerstören Wohngebäude, Krankenhäuser, Schulen und Universitäten, setzen die Menschen einen Fuß auf die Straße, droht Gefahr von Huthi-Scharfschützen auf den Häusern, die wahllos auf alles schießen. Rappels Verbindungsmanns im Jemen, Scheich Sadek, berichtete von einem sechsjährigen Buben, der erschossen wurde, als er Milch für sein Geschwisterchen auftreiben wollte.

„Man kann sich allenfalls in der Dämmerung oder nachts herauswagen”, um dann Nahrung oder Wasser aufzutreiben, sagt Aenne Rappel. Meist ist Nahrung nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Die Versorgung ist nahezu zusammengebrochen, schon jetzt hungern etwa 60 Prozent der Jemeniten, und die nächste Ernte droht auszufallen. Staatliche Strukturen sind völlig zusammengebrochen, in Taiz im Südwesten des Landes gibt es schon lange keine Müllabfuhr mehr, riesige Mengen Unrat liegen auf den Straßen. Ihr Gestank vermischt sich mit dem Verwesungsgeruch der Leichen, die überall herumliegen.

Al Mihlaf mit Krankenstation und Schule der Jemenhilfe ist nicht direkt vom Krieg betroffen, dafür liegt es zu weit ab, schwer zugänglich in den Bergen. Allerdings bedeutet das auch, dass das Dorf von der Versorgung völlig abgeschnitten ist. Die Medikamente gehen aus, Nachschub ist ohne Benzin für Geländewagen nicht möglich. Die Studenten, die die Hilfsorganisation bei ihrem Medizinstudium unterstützt haben und die Station weiterführen sollen, sitzen derzeit auch in Taiz - ihre Universitäten sind zerstört. Eine Flucht aus dem Land ist kaum möglich, die Nachbarn haben die Grenzen abgeriegelt. Das einzige winzige Schlupfloch führt ausgerechnet nach Somalia, ebenfalls einem „failed state”, einem gescheiterten Staat.

An ein Wunder grenzt in dieser Situation, dass bis jetzt noch Geld übermittelt werden kann. Aber das reicht gerade noch zwei Monate, um die nötigsten Kosten für Al Mihlaf und die Kinderhilfe zu decken. Die Spenden für die Aichacher Organisation gehen seit Jahren drastisch zurück - eine Reaktion auf die seit Jahren immer schlechter und chaotischer werdende politische Lage und den Ruf des Landes als Rückzugsgebiet für Terroristen. Die, Islamischer Staat (IS) und Al Quaida, mischen in dem grausamen Wirrwarr auch noch mit, teilweise, so Aenne Rappel, bekämpfen sie sich aber auch gegenseitig.

Aenne Rappel selbst war 2013 zum letzten Mal im Jemen. Eigentlich war der nächste Besuch für Anfang dieses Jahres geplant, nur durch einen Zufall wurde aus der Reise nichts. „Dann säße ich jetzt mittendrin”, sagt sie.

Für die Jemenhilfe ist klar, dass man trotzdem weiterarbeiten möchte, so lange es nur geht. „Wir haben uns zusammengesetzt und waren uns einig, dass wir die Menschen nicht im Stich lassen und die Hoffnung nicht aufgeben”, sagt sie über ein Treffen der Helfer.

Für die mittlerweile 80 Jahre alte Gründerin der Jemenhilfe geht es auch um ihr Lebenswerk. Als Realistin ist Rappel klar, dass sie möglicherweise in wenigen Wochen vor den Trümmern dessen steht, was sie über 15 Jahre lang aufgebaut hat. Als Optimistin gibt sie die Hoffnung nicht auf.

Die Hoffnung, die einzige Hoffnung, kann sie für die Menschen im Jemen auch sehr genau benennen: „Die Saudis müssen einmarschieren. Nur mit Luftschlägen ist die Lage nicht zu ändern, sie wird für die Jemeniten dadurch nur noch schlimmer.”

Spendenkonto: Volksbank-Raiffeisenbank Aichach, BLZ 720 900 00, Kontonummer 558 2105.


Von Berndt Herrmann
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